Tagebücher 01 - Literat und Europäer
bei uns nach Deutschen, steigen auch in den ersten Stock hinauf und sehen sich in den Zimmern um; natürlich finden sie niemanden. Dann sitzen wir im Wohnzimmer herum und versuchen uns miteinander zu unterhalten; Z . dolmetscht.
Als sie erfahren, dass ich Schriftsteller bin, beglückwünschen sie mich interessiert. Sie erkundigen sich, wen ich aus der russischen Literatur kenne? Ich erwähne Puschkin, Tolstoi, Dostojewski, Tschechow; sie bekunden begeistert, dass sie ihre Literatur gut kennen und sich freuen, dass auch ich die Werke dieser Schriftsteller gelesen hätte. Ich erzähle ihnen, dass mein französischer Verleger auch die Werke Ilja Ehrenburgs herausgegeben habe. Sie erkundigen sich, ob die Villa mir gehöre und ob ich ein Auto hätte – und als sie hören, dass ich hier nur Mieter bin und mein Auto vom Militär requiriert worden sei, beginnen sie mich stolz zu belehren. In Rußland besäße ich längst ein Auto und eine Villa, sagen sie, Schriftsteller seien dort hoch geachtete Menschen. Sie sind enthusiastisch; es fehlte nicht viel, und sie hätten mir eines der Schlösser im Dorf geschenkt; ich rede es ihnen lachend aus. Sie fragen nach meiner politischen Einstellung. Ich erwidere, dass ich dem Bürgertum entstammte, kein Kommunist, aber auch kein Faschist sei. Dass ich Bürger sei und Demokrat. Das verstehen sie und nicken.
Der ukrainische Hauptmann ist ein »Politruk«, der Kaukasier ein regulärer Armeeoffizier. Der Ukrainer sagt, sie kämpften gegen die Deutschen, marschierten nach Österreich und auf Berlin zu; Ungarn sei nur Durchmarschgebiet für sie, aber da die Ungarn Widerstand geleistet hätten, müssten sie gegen uns kämpfen; sobald sie von hier fort wären, könnten die Ungarn »leben, wie sie wollten«.
Dann reichen sie uns die Hand und brechen auf; am Tor winken sie uns noch einmal zu. Wie waren sie? Sehr jung, enthusiastisch. Und fremd; eine andere Welt, eine andere Art, kaum gemeinsame Erinnerungen. Ich, der ich ein Überbleibsel einer untergehenden Kultur bin, hatte heute gewiss zum ersten Mal eine Begegnung mit dem aufstrebenden neuen Menschen einer neuen Kultur. Und diese Begegnung hat einen seltsamen Eindruck bei mir hinterlassen; keinen schlechten; eher eine Art Zuversicht, was die Zukunft betrifft. Vielleicht werden wir einander in einer ruhigeren Atmosphäre gegenseitig bereichern können.
Was war diese »rechte Gesinnung«, die zu Ungarns Untergang geführt hat? Ein Glaube, ein sakrosanktes Prinzip, eine fundamentale Überzeugung? Nein, es war etwas anderes.
Wenn dieser Krieg vorbei ist, warten unzählige Aufgaben auf uns; wir müssen die Toten begraben, die Trümmer wegräumen, den Hungernden Brot geben, aus dem Scherbenhaufen, den uns diese Bande von inzwischen größtenteils geflohenen Raubmördern zurückgelassen hat, irgendetwas Staatsähnliches errichten. Aber das ist der kleinere Teil der Aufgaben. Damit Ungarn wieder eine Nation, eine geachtete Familie in der Welt wird, muss aus der Seele eines bestimmten Menschentyps dieses seltsame, als »rechte Gesinnung« bekannte Etwas getilgt werden; die Vorstellung, dass ihm als »christlichem Ungarn« in dieser Welt Privilegien zustünden; dass er aus dem einfachen Grund, weil er ein »christlicher, ungarischer, vornehmer Herr« ist, das Recht habe, auch ohne jedes Talent und Wissen gut zu leben, die Nase hoch zu tragen, auf alle herabzublicken, die nicht »christlich-ungarisch« oder »vornehme Herren« sind, die Hand aufzuhalten und von Staat und Gesellschaft Bakschisch in seine christlich-ungarische Hand zu fordern: Posten, Auszeichnungen, zurückgelassenen jüdischen Besitz, Gratisurlaub in Galyatető , Privilegien in allen Lebensbereichen. Denn darin lag der wirkliche Sinn der »rechten Gesinnung«. Aber dieser Typ ist unbelehrbar. Wer über dreißig Jahre alt ist und in diesem Geist, dieser Atmosphäre aufgewachsen, ist ein hoffnungsloser Fall; er wird sich vielleicht fügen, zähneknirschend und weil er egoistisch und feige ist: Er wird gewiss auch vor der neuen Macht katzbuckeln; aber im Grunde seines Herzens wird er ewig der »rechten, christlich-nationalen« Welt nachtrauern, in der sich so schön jüdisches Vermögen rauben, Konkurrenten hinmorden, in Großunternehmen ohne jede Ausbildung und jeden Sachverstand Karriere und Profit machen ließen. Und man ein »vornehmer Staatsbeamter«, ein unantastbarer, durchs Panzerhemd geschützter Offizier sein konnte; und das alles allein aufgrund der Tatsache der werten
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