Tagebücher: 1909-1923
Geplanter Brief an Milena.
Die 3 Erinnyen. Flucht in den Hain. Milena
7 (April 1922) Die 2 Bilder und die 2 Terakotten in der Ausstellung
Märchenprinzessin (Kubin) nackt auf dem Divan, blickt durch das offene Fenster, stark hereindringende Landschaft, in ihrer Art freie Luft wie auf dem Bild von Schwind
Nacktes Mädchen (Bruder) deutschböhmisch, in ihrer jedem andern unzugänglichen Grazie treu von einem Liebenden erfaßt, edel, überzeugend, verführend.
| Sitzendes Bauermädchen, ein Fuß unten, genießerisch ruhend, im Knöchel gekrümmt,
|
Pietsch |
| Stehendes Mädchen, rechter Arm umschließtüber dem Bauch den Leib, linke Hand stützt unter dem Kinn den Kopf, plattnasiges, einfältig-tiefsinniges, einmaliges Gesicht.
Brief von Storm
10 IV (1922) Die 5 Leitsätze zur Hölle: (genetische Aufeinanderfolge)
1.) “Hinter dem Fenster ist das Schlimmste. ” Alles andere ist engelhaft, entweder ausdrücklich, oder bei Nichtbeachtung (der häufigere Fall) schweigend zugegeben
2.) “Du mußt jedes Mädchen besitzen! ” nicht donjuanmäßig, sondern nach dem Teufelswort “sexuelle Etikette”
3.) “Dieses Mädchen darfst Du nicht besitzen! ” und kannst es daher auch nicht. Himmlische Fata Morgana in der Hölle.
4.) “Alles ist nur Notdurft”; da Du sie hast, gib Dich zufrieden
5.) “Notdurft ist alles”. Wie könntest Du alles haben? Infolgedessen hast Du nicht einmal die Notdurft.
Als Junge war ich (und wäre es sehr lange geblieben, wenn ich nicht mit Gewalt auf sexuelle Dinge gestossen worden wäre) hinsichtlich sexueller Angelegenheiten so unschuldig und uninteressiert wie heute etwa hinsichtlich der Relativitätsteorie. Nur Kleinigkeiten (aber auch die erst nach genauer Belehrung) fielen mir auf, etwa daß gerade die Frauen, die mir auf der Gasse die schönsten und die schönstangezogenen schienen, schlecht sein sollten.
Ewige Jugend ist unmöglich; selbst wenn kein anderes Hindernis wäre, die Selbstbeobachtung machte sie unmöglich
11 (April 1922) “Für ihn taugt nur die schmutzige, ältliche, ganz fremde Frau mit runzligen Schenkeln, welche ihm den Samen in einem Augenblick entzieht, das Geld einsteckt und ins Nebenzimmer eilt, wo schon ein anderer Gast auf sie wartet. ”
Bei Fr. mit Max, gleich der Brief
13 (April 1922) Maxens Leid. Vormittag in seinem Bureau
Nachmittag vor der Theinkirche (Ostersamstag)
Angst vor Störungen (Tr. M. Pe. Va. K.) Schlaflosigkeit aus dieser Angst
Letzthin Schreckenstraum wegen M.‘s Brief in der Brieftasche
I) Junges kleines Mädchen 18 Jahre, Nase, Kopfform, blond, im Profil flüchtig gesehn, kam aus der Kirche.
16 (April 1922) Maxens Leid. Spaziergang mit ihm. Dienstag fährt er fort
II 5jähriges Mädchen, Baumgarten, kleiner Weg zur Hauptallee, Haar, Nase, helles Gesicht. Fragt: “Jak sejmenuje ten
ktery to dela slinama?” ” Ty myslis vlastovku”
23 (April 1922) III braungelbe Samtjacke in der Ferne gegen den Obstmarkt zu
hilflose Tage, gestern Nacht
soviel Kraft und Fülle, nutzlos, jeder sieht es, nichts kann es verbergen
27 (April 1922) IV Gestern Makkabimädchen in Selbstwehrredaktion telephoniert: “Prisla jsem ti pomoct.” Reine herzliche Stimme und Sprache
Kurz darauf M. die Tür geöffnet
8 V (1922) Arbeit mit dem Pflug. Er bohrt sich tief ein und fährt doch leicht. Oder er ritzt nur den Boden. Oder er fährt leer mit hochgezogener nichtiger Pflugschar; mit ihr oder ohne ihr, es ist gleichgültig
Die Arbeit schließt sich, wie sich eine ungeheilte Wunde schließen kann
Heißt es ein Gespräch führen, wenn der andere schweigt und man um den Schein des Gespräches aufrechtzuerhalten, ihn zu ersetzen sucht, also nachahmt, also parodiert, also sich selbst parodiert.
M. hier gewesen, kommt nicht mehr, wahrscheinlich klug und wahr und es gibt doch vielleicht eine Möglichkeit, deren geschlossene Tür wir beide bewachen, daß sie sich nicht öffne oder vielmehr daß wir sie nicht öffnen, denn allein öffnet sie sich nicht.
Maggid
12 V (1922) Die ununterbrochene Mannigfaltigkeit und mitten darin einmal der rührende Anblick einer augenblicksweise nachlassenden Variationskraft
aus Pilger Kamanita, aus den Veden: “Gleichwie, o Teuerer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit verbundenen Augen hergeführt und dann in die Einöde losgelassen haben, nach Osten oder nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil
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