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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Lucerna. Einige junge Leute singen jeder ein Lied. Ist man frisch und hört zu, so wird man durch einen derartigen Vortrag eher an die Folgerungen erinnert, welche der Text auf unser Leben erlaubt, als dies durch den Vortrag geübter Sänger geschehen kann. Denn die Kraft der Verse wird durch den Sänger keinesfalls vergrößert, sie behalten ihre Selbständigkeit und tyrannisieren uns mit dem Sanger der nicht einmal Lackstiefel hat, dessen Hand vom Knie einmal nicht loswill und wenn sie muß, noch ihren Widerwillen zeigt, der sich möglichst rasch auf die Bank hinwirft um die Menge kleiner ungeschickter Bewegungen, die er dafür aufbieten muß, möglichst wenig sehen zu lassen. – Liebesszene im Frühling in der Art der Photographieansichtskarten. Treue, das Publikum rührende und beschämende Darstellung. – Fatinizza, Wiener Sängerin. Süßes inhaltsvolles Lachen. Erinnerung an Hansi. Ein Gesicht mit unbedeutenden, meist auch zu scharfen Details vom Lachen zusammengehalten und ausgeglichen. Unwirksame Übermacht über das Publikum, die man ihr zusprechen muß, wenn sie an der Rampe steht und in das gleichgültige Publikum lacht. –
    Dummer Tanz der Degen mit fliegenden Irrlichtern, Zweigen, Schmetterlingen, Papierfeuern, Totenkopf. – 4 Roking Girls.
    Eine sehr schön. Kein Teaterzettel nennt ihren Namen. Sie war die äußerste rechts vom Zuschauerraum. Wie sie beschäftigt die Arme warf, wie die dünnen langen Beine mit zarten spielenden
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    Knöchelchen in besonders fühlbar stummer Bewegung waren, wie sie das Tempo nicht einhielt wie sie aber durch kein Erschrecken in ihrem Beschäftigtsein sich stören ließ, was für ein sanftes Lächeln sie hatte im Gegensatz zu dem verzerrten der andern, wie ihr Gesicht und Haar fast üppig war im Vergleich zur Magerkeit des Körpers, wie sie den Musikanten
    "langsam" zurief auch für ihre Mitschwestern. Ihr Tanzmeister, ein junger auffallend angezogener magerer Mensch stand hinter den Musikanten und winkte rythmisch mit einer Hand weder von Musikanten noch von den Tänzerinnen beachtet und selbst mit seinen Blicken im Zuschauerraum. – Warnebold, feurige Nervosität eines kräftigen Menschen. In Bewegungen manchmal ein Witz, dessen Macht einen erhebt. Wie er nach der Ankündigung der Nummer mit großen Schritten dem Klavier zueilt.
    Gelesen "aus dem Leben eines Schlachtenmalers" Flaubert zufrieden vorgelesen.
    Der Mann in Stulpstiefeln im Regen
    Wünsche.
    Notwendigkeit über Tänzerinnen mit Rufzeichen zu reden.
    Weil man so ihre Bewegung nachahmt, weil man im Rythmus bleibt und das Denken dann im Genusse nicht stört, weil dann die Tätigkeit immer am Schluß des Satzes bleibt und besser weiterwirkt.
    17. III. (1912) In diesen Tagen "Morgenrot" von Stössl gelesen.
    Maxens Koncert am Sonntag. Mein fast bewußtloses Zuhören.
    Ich kann mich von jetzt an bei Musik nicht mehr langweilen.
    Diesen undurchdringlichen Kreis, der sich mit der Musik um mich bald bildet, versuche ich nicht mehr zu durchdringen, wie ich es früher nutzlos tat, hüte mich auch, ihn zu überspringen, was ich wohl imstande wäre, sondern bleibe ruhig bei meinen Gedanken, die in der Verengung sich entwickeln und ablaufen,
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    ohne daß störende Selbstbeobachtung in dieses langsame Gedränge eintreten könnte. – Der schöne "magische Kreis" (von Max) der stellenweise die Brust der Sängerin zu öffnen scheint.
    – Goethe "Trost im Schmerz". Alles geben die unendlichen Götter Ihren Lieblingen ganz, die Freuden die unendlichen, die Schmerzen die unendlichen ganz. – Meine Unfähigkeit gegenüber meiner Mutter, gegenüber Frl. T. und gegenüber allen dann im Kontinental und später auf der Gasse.
    Mam’zelle Nitouche am Montag. Die gute Wirkung eines französischen Wortes innerhalb einer traurigen deutschen Vorstellung. – Pensionatsmädchen in hellen Kleidern laufen hinter einem Gitter mit ausgestreckten Armen in den Garten. –
    Kasernenhof des Dragonerregimentes in der Nacht. Officiere feiern in einem über paar Treppen zu erreichendem Saal des hintern Kaserngebäudes ein Abschiedsfest. Mam’zelle Nitouche kommt und läßt sich durch Liebe und Leichtsinn dazu bringen, an dem Fest teilzunehmen. Was Mädchen passieren kann! Früh im Stift, abends Auftreten für eine absagende Operettensängerin und nachts in der Dragonerkaserne.
    Heute den Nachmittag mit schmerzhafter Müdigkeit auf dem Kanapee verbracht.
    18. III 12 Weise war ich, wenn man will, weil ich jeden Augenblick zu

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