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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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nicht?" "Ich komme schon" sagte er.
    "Warte nur noch ein Weilchen. Ich will nur noch zusehn, was dieser Mann hier machen wird. Es ist ein Fremder. Er treibt sich hier ganz unnötiger Weise herum. Sieh nur. " Er redete von mir, als sei ich taub oder als verstünde ich seine Sprache nicht. Nun lag mir allerdings nicht viel daran, was er sagte, aber es wäre mir natürlich unangenehm gewesen, wenn er im Dorf
    irgendwelche falschen Gerüchte über mich verbreitet hätte. Ich sagte also zu der Frau hinüber: "Ich suche hier den Gasthof, nichts weiter. Ihr Mann hat kein Recht in dieser Weise von mir zu reden und Ihnen vielleicht eine fa lsche Meinung über mich beizubringen. " Die Frau sah aber kaum auf mich hin, sondern gieng zu ihrem Mann – ich hatte richtig erkannt, daß es ihr Mann war, eine so gerade selbstverständliche Beziehung bestand zwischen ihnen – und legte die Hand auf seine Schulter:
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    "Wenn Sie etwas haben wollen, dann reden Sie mit meinem Mann nicht mit mir. " "Ich will gar nichts haben" sagte ich, ärgerlich über diese Behandlung "ich kümmere mich um sie nicht, kümmern Sie sich auch nicht um mich. Das ist meine einzige Bitte. " Die Frau zuckte mit dem Kopf, das konnte ich im Dunkel noch sehn, den Ausdruck ihrer Augen aber nicht mehr. Offenbar wollte sie etwas antworten, aber ihr Mann sagte:
    "Sei still! " und sie schwieg.
    Dieses Zusammentreffen schien mir nun endgültig erledigt, ich drehte mich um und wollte weitergehn, da rief jemand
    "Herr". Das galt wahrscheinlich mir. Im ersten Augenblick wußte ich gar nicht woher die Stimme kam, dann aber sah ich ber mir auf der Hofmauer einen jungen Mann sitzen, der mit herabbaumelnden Beinen und aneinanderschlagenden Knien nachlässig zu mir sagte: "Ich habe jetzt gehört, daß Ihr im Dorf übernachten wollt. Außer hier auf dem Hof bekommt Ihr nirgends ein brauchbares Quartier. " "Auf dem Hof?" fragte ich und unwillkürlich, ich war nachher darüber wütend, sah ich fragend auf das Ehepaar, das noch immer aneinandergelehnt dastand und mich beobachtete. "Es ist so" sagte er, in seiner Antwort wie in seinem ganzen Benehmen war Hochmut. "Es werden hier Betten vermietet" fragte ich nochmals, um Sicherheit zu haben und um den Mann in die Rolle des Vermieters zurückzudrängen. "Ja" sagte er und hatte schon den Blick ein wenig von mir abgewendet "es werden hier Betten für die Nacht berlassen, nicht jedem, sondern nur dem, dem sie angeboten werden. " "Ich nehme es an" sagte ich "werde aber natürlich das Bett bezahlen, wie im Gasthof. " "Bitte" sagte der Mann und sah schon längst über mich hinweg "wir werden euch nicht übervorteilen. " Er saß oben wie der Herr, ich stand unten wie ein kleiner Diener, ich hatte viel Lust ihn dort oben durch einen Steinwurf etwas lebendiger zu machen. Statt dessen sagte ich: "Macht mir bitte also die Tür auf." "Sie ist nicht zugesperrt"
    sagte er.
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    "Sie ist nicht zugesperrt" wiederholte ich brummend fast ohne es zu wissen, öffnete die Tür und trat ein. Zufällig sah ich gleich nach dem Eintritt auf die Mauer hinauf, der Mann war nicht mehr oben, er war offenbar die Mauer trotz ihrer Höhe hinabgesprungen und besprach sich vielleicht mit dem Ehepaar.
    Mochten sie sich besprechen, was konnte mir einem jungen Menschen geschehn, dessen Barschaft knapp 3 Gulden überstieg und dessen sonstiger Besitz in nicht viel anderem bestand, als einem reinen Hemd im Rucksack und einem Revolver in der Hosentasche. Übrigens sahen die Leute gar nicht so aus, als ob sie jemanden bestehlen wollten. Was konnten sie aber sonst von mir verlangen? Es war der gewöhnliche ungepflegte Garten großer Bauernhöfe, die feste Steinmauer hatte mehr erwarten lassen. Im hohen Gras standen regelmäßig verteilt abgeblühte Kirschbäume. In der Ferne sah man das Bauernhaus, einen ausgedehnten ebenerdigen Bau. Es wurde schon sehr dunkel; ich war ein später Gast; wenn mich der Mann auf der Mauer irgendwie belogen hatte, konnte ich in eine unangenehme Lage kommen. Auf dem Weg zum Haus traf ich niemanden, aber schon paar Schritte vor dem Haus sah ich durch die offene Tür im ersten Raum zwei große alte Leute, Mann und Frau, nebeneinander, die Gesichter der Tür zugewendet, aus einer Schüssel irgendeinen Brei essen. In der Finsternis unterschied ich nichts genaueres, nur an dem Rock des Mannes glänzte es stellenweise wie von Gold, es waren wohl die Knöpfe oder die Uhrkette. Ich grüßte und sagte dann, ohne vorläufig die Schwelle zu

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