Tagebücher 1909-1923
überschreiten: "Ich suchte gerade Nachtquartier im Ort, da sagte mir ein junger Mann, der auf der Mauer ihres Gartens saß, daß man hier im Hofe gegen Bezahlung übernachten könne. " Die zwei Alten hatten ihre Löffel in den Brei gesteckt, sich auf ihrer Bank zurückgelehnt und sahen mich schweigend an. Sehr gastfreundlich war ihr Benehmen nicht. Ich fügte deshalb hinzu: "Ich hoffe daß die Auskunft, die ich bekommen habe, richtig war und daß ich Sie nicht
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unnötigerweise gestört habe. " Ich sagte das sehr laut, denn vielleicht waren die zwei auch schwerhörig. Kommen Sie näher sagte der Mann nach einem Weilchen. Nur weil er so alt war folgte ich ihm, sonst hätte ich natürlich daraufbestanden, daß er auf meine bestimmte Frage bestimmt antworte. Jedenfalls sagte ich, während des Eintretens: "Wenn Ihnen meine Aufnahme nur die ge ringsten Schwierigkeiten machen sollte, so sagen Sie es offen, ich bestehe durchaus nicht darauf. Ich gehe in den Gasthof, es ist mir ganz gleichgültig. " "Er redet soviel" sagte die Frau leise. Es konnte nur als Beleidigung gemeint sein, auf meine Höflichkeiten antwortete man also mit Beleidigungen, aber es war eine alte Frau, ich konnte mich nicht wehren. Und gerade diese Wehrlosigkeit war vielleicht der Grund dessen, daß die nicht zurückzutreibende Bemerkung der Frau in mir viel mehr wirkte, als sie es verdiente. Ich fühlte irgendeine Berechtigung irgendeines Tadels, nicht deshalb weil ich zuviel gesprochen hatte, denn ich hatte tatsächlich nur das notwendigste gesagt, aber aus sonstigen ganz nah an meine Existenz heranreichenden Gründen.
Ich sagte nichts weiter, bestand auf keiner Antwort, sah in einem nahen dunklen Winkel eine Bank, gieng hin und setzte mich. Die Alten begannen wieder zu essen, ein Mädchen kam aus einem Nebenzimmer und stellte eine brennende Kerze auf den Tisch. Jetzt sah man noch weniger als früher, alles war im Dunkel zusammengezogen, nur die kleine Flamme flackerte über den ein wenig gebeugten Köpfen der Alten. Einige Kinder liefen aus dem Garten herein, eines fiel lang hin und weinte, die andern stockten im Lauf und standen nun verstreut im Zimmer, der Alte sagte: "Geht schlafen, Kinder. " Sofort sammelten sie sich, das Weinende schluchzte nur noch, ein Junge in meiner Nähe zupfte mich am Rock, als ob er meinte ich solle auch mitkommen, tatsächlich wollte ich ja auch schlafen gehn, ich stand also auf und gieng als großer Mensch inmitten der Kinder, die laut und einheitlich Gute Nacht sagten, stumm aus dem
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Zimmer. Der freundliche kleine Junge hielt mich an der Hand, so daß ich mich leicht im Dunkel zurechtfand. Wir kamen aber auch sehr bald zu einer Leitertreppe, stiegen hinauf und waren auf dem Boden. Durch eine kleine offene Dachluke sah man gerade den schmalen Mond, es war eine Lust unter die Luke zu treten, mein Kopf ragte fast in sie hinein, und die laue und doch kühle Luft zu atmen. Auf der Erde war an einer Wand Stroh aufgeschüttet, dort war auch für mich genug Platz zum Schlafen.
Die Kinder – es waren 2 Jungen und 3 Mädchen – zogen sich unter Lachen aus, ich hatte mich in den Kleidern aufs Stroh geworfen, ich war doch bei Fremden und hatte keinen Anspruch darauf hier gelassen zu werden. Auf den Elbogen gestützt sah ich ein Weilchen den Kindern zu, die halbnackt in einem Winkel spielten. Dann fühlte ich mich aber so müde, daß ich den Kopf auf meinen Rucksack legte, die Arme ausstreckte, ein wenig noch die Dachbalken mit den Blicken streifte und einschlief. Im ersten Schlaf glaubte ich noch den einen Knaben rufen zu hören: Achtung er kommt! worauf in mein schon entschwindendes Bewußtsein das eilige Trippeln der Kinder hineinklang, die zu ihrem Lager liefen. Ich hatte gewiß nur ganz kurze Zeit geschlafen, denn als ich aufwachte, fiel das Mondlicht durch die Luke fast unverändert auf die gleiche Stelle des Fußbodens. Ich wußte nicht, warum ich aufgewacht war, denn ich hatte ohne Träume und tief geschlafen. Da bemerkte ich neben mir etwa in der Höhe meines Ohres einen ganz kleinen buschigen Hund, eines jener widerlichen Schoßhündchen mit verhältnismäßig großem von lockigen Haaren umgebenen Kopf, in den die Augen und die Schnauze wie Schmuckstücke aus irgendeiner leblosen hornartigen Masse locker eingesetzt sind. Wie kam ein solcher Großstadthund ins Dorf? Was trieb ihn bei Nacht im Haus herum Warum stand er bei meinem Ohr? Ich fauchte ihn an, damit er weggienge, vielleicht war er ein Spielzeug
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