Tagebücher 1909-1923
ist es nichts Besonderes mehr, wenn man durch Zuschlagen des Buches wieder auf sich selbst gebracht, nach diesem Aus flug und dieser Erholung sich in seinem neu erkannten, neu geschüttelten, einen Augenblick lang von der Ferne aus betrachteten eigenen Wesen wieder wohler fühlt und mit freierem Kopfe zurückbleibt.
10 Dec. (1911) So. Ich muß meine Schwester besuchen gehn und ihren kleinen Jungen. Als vorgestern die Mutter um 1 Uhr
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in der Nacht von meiner Schwester zurückkam mit der Nachricht von der Geburt des Jungen, zog mein Vater im Nachthemd durch die Wohnung, öffnete alle Zimmer, weckte mich das Dienstmädchen und die Schwestern und verkündete die Geburt in einer Weise, als sei das Kind nicht nur geboren worden, sondern als habe es auch bereits ein ehrenvolles Leben geführt und sein Begräbnis gehabt.
Später erst kann es uns wundern, daß jene fremden
Lebensverhältnisse trotz ihrer Lebhaftigkeit unveränderlich in dem Buch beschrieben sind, obwohl wir nach unserer Erfahrung zu wissen glauben, daß von einem Erlebnis wie es z. B. die Trauer über den Tod eines Freundes ist, nichts auf der Welt weiter absteht, als die Beschreibung dieses Erlebnisses. Was aber für unsere Person recht ist, ist es nicht für die fremde.
Wenn wir nämlich mit unseren Briefen dem eigenen Gefühle nicht genügen können – natürlich gibt es hier eine beiderseits verschwimmende Menge von Abstufungen, – wenn uns selbst in unserm besten Zustand immer wieder Ausdrücke behilflich sein müssen, wie "unbeschreiblich", "unsagbar" oder ein "so traurig"
oder so schön dem dann ein rasch abbröckelnder "daß"-Satz folgt, so ist uns wie zum Lohn dafür die Fähigkeit gegeben, fremde Berichte mit der ruhigen Genauigkeit aufzufassen, die uns dem eigenen Briefschreiben gegenüber zumindest in diesem Maße fehlt. Die Unkenntnis, in der wir uns über jene Gefühle befinden, welche den vorliegenden Briefe je nachdem einmal gespannt oder zerknittert haben, gerade diese Unkenntnis wird Verstand, da wir gezwungen sind, an den hier liegenden Brief uns zu halten, nur das zu glauben, was darin steht, dieses also vollkommen ausgedrückt zu finden und von einem
vollkommenen Ausdruck wie es nur gerecht ist den Weg ins Menschlichste hinein offen zu sehn. So enthalten z. B. Karl Stauffers Briefe nur den Bericht über das kurze Leben eines Künstlers
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13. XII 11 Aus Müdigkeit nicht geschrieben und abwechselnd auf dem Kanapee im warmen und im kalten Zimmer gelegen mit kranken Beinen und ekelhaften Träumen. Ein Hund lag mir auf dem Leib, eine Pfote nahe beim Gesicht, ich erwachte davon, aber hatte noch ein Weilchen Furcht, die Augen aufzumachen und ihn anzusehn.
Biberpelz. Lückenhaftes, ohne Steigerung abfla uendes Stück.
Falsche Scenen des Amtsvorstehers. Zartes Spiel der Lehmann vom Lessingteater. Einlegen des Rockes zwischen die Schenkel wenn sie sich bückt. Der nachdenkliche Blick des Volkes, Heben beider Handflächen, die links vor dem Gesicht unter einandergereiht werden, wie um die Macht der leugnenden oder beteuernden Stimme freiwillig zu schwächen. Unberatenes grobes Spiel der andern. Frechheiten des Komikers gegen das Stück (zieht seinen alten Säbel, verwechselt die Hüte) Meine kalte Unlust. Nachhausegegangen, aber auch schon dort gesessen mit der bewundernden Vorstellung, daß soviel Menschen für einen Abend soviel Aufregung auf sich nehmen (man schreit, stiehlt, wird bestohlen, belästigt, beklatscht, vernachlässigt) und daß in diesem Stück, wenn man es nur mit blinzelnden Augen
ansieht, soviel ungeordnete
Menschenstimmen und Ausrufe zusammengeworfen sind.
Schöne Mädchen. Eine mit glattem Gesicht, ununterbrochenen Hautflächen, Wangenrundung, hoch oben ansetzendem Haar, in dieser Glätte verlassenen und etwas aufquellenden Augen. –
Schöne Stellen des Stückes, in denen sich die Wulffen gleichzeitig als Diebin und als ehrliche Freundin der klugen, fortschrittlichen, demokratischen Menschen zeigt. Ein Wehrhahn als Zuhörer müßte sich eigentlich bestätigt fühlen. –
Trauriger Parallelismus der 4 Akte. Im ersten Akt wird gestohlen, im 2ten ist das Gericht, ebenso im 3tten und 4. Akt –
"Der Schneider als Gemeinderat" bei den Juden. Ohne die Tschissiks, aber mit zwei neuen, dem Ehepaar Liebegold, fürchterlichen Menschen. Schlechtes Stück von Richter. Der
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Anfang molierisch der protzige mit Uhren behängte
Gemeinderat. – Die Liebgold kann nicht lesen, ihr Mann muß mit ihr
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