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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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sie stieß jedoch das Papier zurück und versicherte, sie hätte noch verschiedenes hinzuzufügen; man sah ihr an, daß sie in ihrem Gedächtnis nachsuchte. Vielleicht vermutete sie, man würde sie begnadigen, wenn sie ungeheure Summen der Konfiskation anheimstellte, und niemals in ihrer glücklichen Zeit mag sie so begierig nach den Reichtümern gewesen sein, die sie jetzt bereitwillig opferte, um dem Tode noch einige Minuten abzugewinnen. Endlich standen die Bürger Denizot und Royer auf und erklärten ihr in rauhem Tone, daß sie sich den Verfügungen der Justiz unterwerfen und die Schmach ihres vergangenen Lebens durch einen mutigen Tod austilgen möchte. Sie blieb wie vernichtet auf ihrem Stuhl sitzen. Ein Gehilfe trat zu ihr und hielt den Augenblick für günstig, ihr das Haar abzuschneiden. Beim ersten Schnitt mit der Schere sprang sie aber auf und stieß ihn zurück; zwei andere Gehilfen mußten sie binden helfen. Nun ließ sie alles mit sich geschehen, weinte aber, wie ich niemals weinen sah. Auf dem Kai befanden sich ebensoviele Menschen, wie bei der Hinrichtung der Königin und der Girondisten. Man schrie laut, aber das Geschrei des Opfers übertönte fortwährend das des Volkes. Wir konnten nicht hundert Schritte zurücklegen, ohne ihre Stimme zu vernehmen. Sie rief:
    »Gute Bürger, befreiet mich, ich bin unschuldig! Ich gehöre dem Volke an, wie ihr, gute Bürger; lasset mich nicht sterben!«
    Man rührte sich nicht, aber alle senkten den Kopf und schmähten sie nicht ferner. Niemals habe ich das Volk so sanftmütig gesehen. Jacot verschwendete seine Grimassen vergeblich. Ich erkannte die Leute von der Guillotine nicht wieder, und doch waren es dieselben, die sich bei dem Tode des Bürgers Bailly so hartherzig zeigten. Auf einige Augenblicke hielt die Verurteilte zu schreien inne; ihr Gesicht, das bisher dunkelrot gewesen, wurde bleich. Sie fiel wie tot gegen die Wagenleiter und wurde von einer Seite zur anderen geschüttelt; zehnmal wäre sie umgefallen, wenn mein Sohn sie nicht unterstützt hätte. Von Zeit zu Zeit sagte sie zu mir:
    »Nein, nicht wahr, Ihr werdet mich nicht töten?«
    Ihre Zähne klapperten und ihre Stimme war rauh und heiser. Ich fühlte mich so gerührt, daß ich, wie die anderen, weinen konnte, und noch bitterer weinen, als irgendein anderer, denn der Anblick dieser unglücklichen Frau erinnerte mich an unsere Jugend, die uns ein solches Schicksal nicht vermuten ließ, und an ihren würdigen Vater, dessen Sorge sie weder vor ihrer kläglichen Größe, noch vor ihrem schrecklichen Sturze hatte bewahren können. Ungeachtet aller meiner Bemühung, meine Rührung zu bekämpfen, hat mir niemals ein Zug so lange gewährt. Einmal riet ich ihr zu beten, indem ich meinte, dies würde ihr gewiß zum Troste gereichen. Es war ihr aber kein Gebet mehr erinnerlich und sie sagte nur: »Mein Gott, mein Gott, mein Gott«, ohne ein anderes Wort zu finden.
    Dann fuhr sie fort, die Bürger anzuflehen. Es war der Befehl erlassen, sie zuletzt hinzurichten, als ich aber abstieg, sagte mir der Bürger Gerichtsdiener, ich könnte es nach meinem Belieben einrichten. Da sie beim Anblick der Guillotine in Ohnmacht fiel, ließ ich sie sogleich hinaufbringen; kaum fühlte sie aber, daß man Hand an sie legte, als sie wieder zu sich kam und, obgleich gefesselt, die Gehilfen zurückstieß.
    »Nicht gleich!« rief sie; »noch einen Augenblick, meine Herren Scharfrichter, einen Augenblick, ich bitte Sie!«
    Man schleppte sie weg, aber sie wehrte sich und versuchte zu beißen. Sie war stark und kräftig, denn obgleich es ihrer vier waren, brauchten sie mehr als drei Minuten, um sie hinaufzubringen. Die Männer waren bestürzt, und wenn sie nicht durch ihre Stöße in Zorn geraten wären, würden sie vielleicht gar nicht zum Zweck gekommen sein. Auch das Volk geriet in Bestürzung; niemand sprach ein Wort und viele entliefen nach allen Seiten, wie auf einer Flucht. Oben ging es von neuem an; man konnte sie jenseits des Flusses hören; sie war schrecklich anzusehen; endlich gelang es, sie festzuschnallen, und damit war es geschehen.
    10. Nivôse. Im vergangenen Monat wurde ich auf Ansuchen des Bürger Gemeindeprokurators beordert, das Blut fortzuschaffen, welches zwischen die Bohlen der Guillotine floß und von den Hunden bei offenem Tage abgeleckt wurde. Man legte eine Grube an und bedeckte, dieselbe mit einem eisernen Gitter, welches jeden Tag sorgfältig abgewaschen wurde. Das Blut gerann jedoch zu schnell, als

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