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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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denjenigen, dessen Schüler er war, und man stimmte mit der Begeisterung des Entsetzens für das Dekret.
    Am folgenden Tage, am 12. Germinal, wurde Fouquier-Tinvilles Anklageakte, eine wortreiche Nachahmung des niederschmetternden Antrages von Saint Just, den Angeklagten zugestellt. Der zweite Teil der Memoiren über die Gefängnisse schildert folgendermaßen den Eindruck, den dieses Schriftstück hervorbrachte:
    Als die Verhafteten ihre Anklageakte empfingen, sprang Camille, vor Wut schäumend, auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder; Philippeaux faltete gerührt die Hände und blickte zum Himmel empor; Danton lachte und scherzte über Camille Desmoulins; dann ging er wieder in das Zimmer, welches er mit Lacroix innehatte:
    »Nun, Lacroix, was sagst du dazu? – Ich will mir das Haar abschneiden, damit Sanson es nicht berührt. – Es wird noch ganz anders sein, wenn uns Sanson die Halswirbel ausrenkt. – Ich denke, wir dürfen nur in Gegenwart der Komitees antworten. – Du hast recht; man muß danach trachten, das Volk aufzuregen.«
    Die Aufregung, auf welche Danton rechnete, war schon vorhanden. Das Gerücht über seine Verhaftung und die Gefangennehmung Camilles, welchen die letzten Nummern des »Vieux Cordelier« populärer als jemals gemacht hatten, brachte die höchste Aufregung hervor. Während des 11. und 12. gingen viele Personen in dem Garten des Luxembourg spazieren, und mein Vater erzählte mir, daß man Leute unbeweglich vor jenen Granitmauern stehen und sie betrachten sah, als erwarteten sie, daß die Mauern dieses neuen Jericho bei Dantons Stimme erbeben und in Schutt zerfallen würden.
    Camille, eine zartere Seele, weilte allein bei denen, die er zurückgelassen hatte; bei seiner angebeteten Lucile, bei seinem kleinen Horaz, dessen Andenken ihm das Herz brach. Seine verzweifelte Gattin irrte in den Alleen des Luxembourggartens umher, indem sie ihr Kind auf dem Arm hielt; er, das Gesicht an die Eisenstäbe seines Fensters gelehnt, verbrachte seine Tage damit, sie unter der Menge aufzusuchen. Auf einen Augenblick fand er seine beredte Begeisterung wieder; in der Nacht vom 11. zum 12. begann er in seiner Nummer des »Vieux Cordelier« den letzten Schrei des Patriotismus und Unwillens, den er gegen die Tyrannei richtete. Er unterbrach sich bald, um zu schlafen. Beim Erwachen nahm er seine Arbeit nicht wieder auf. Er schrieb an seine Frau. Die Geschichte hat diesen Brief aufbewahrt.
    »Niemals« – sagt Louis Blanc – »ist ein herzzerreißenderer Schrei aus der Tiefe einer Seele gedrungen, welche der Tod der Liebe streitig machte.«
    »Décadi, 12. Germinal, 5 Uhr morgens. Der wohltuende Schlummer hat mich auf kurze Zeit von meinen Leiden befreit; man ist frei, wenn man schläft; man hat nicht das Gefühl der Gefangenschaft; der Himmel ist barmherzig gegen mich gewesen. Nur einen Augenblick sah ich Dich im Traum; ich umarmte Euch nach der Reihe, Dich, Horaz und Daronne, die zu Hause war; mein armer Kleiner hatte infolge eines zurückgetretenen Übels ein Auge verloren, und der Schmerz darüber brachte mich zum Erwachen. Ich fand mich in meinem Kerker wieder; es tagte ein wenig; als ich Dich nicht sah und Deine Antwort hören konnte – denn Du und Deine Mutter Ihr spracht mit mir –, so stand ich auf, mit Dir zu reden und Dir zu schreiben. Als ich aber mein Fenster öffnete, wurde die ganze Festigkeit meiner Seele erschüttert durch den Gedanken an meine Verlassenheit, durch den Anblick der schrecklichen Eisenstäbe und der Riegel, die mich von Dir trennen. Ich zerfloß in Tränen, ich schluchzte und rief in meinem Gram: »Lucile! Lucile! o meine teure Lucile, wo bist Du?« (Hier sieht man die Spur einer Träne.) Gestern abend hatte ich einen ähnlichen Augenblick, und mein Herz fühlte sich in gleicher Weise gebrochen, als ich Deine Mutter in dem Garten bemerkte; unwillkürlich fiel ich hinter den eisernen Schranken auf die Knie; ich faltete meine Hände und flehte um ihr Mitleid. Sie hat, dessen bin ich gewiß, nicht geringeren Schmerz gefühlt als wir. Gestern sah ich ihren Schmerz (wieder die Spur einer Träne); denn sie hatte den Schleier herabgelassen, weil sie den trübseligen Anblick meines Gefängnisses nicht ertragen konnte. Wenn Ihr wiederkommt, so setze Dich mit ihr ein wenig näher, damit ich Euch besser sehen kann. Wie mir scheint, ist damit keine Gefahr verbunden. Meine geliebte Lucile, so bin ich also zu der Zeit unserer ersten Liebe zurückgekehrt, wo jedermann

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