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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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wofür er mir dankbar sein würde. Ich sträubte mich noch immer, indem ich meine Geschäfte vorschützte; aber er bestand dringend auf seinem Verlangen, so daß die Vorübergehenden stehenblieben und lauschten. Sie konnten mich kennen; ich hielt es daher für das beste, ihm zu folgen. Er wollte meinen Arm nehmen, ich zog ihn aber zurück, und als wir in der engen Straße nicht nebeneinander gehen konnten, hielt ich mich hinter ihm. Er wohnte im zweiten Stockwerk; er ließ mich in ein großes, reich möbliertes Zimmer treten, wies mir einen Stuhl an, setzte sich selber vor einem mit Papieren bedeckten Tische in einen Lehnstuhl und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Ich hörte den Schrei eines Kindes und bemerkte in der Vertiefung eines Bibliothekzimmers eine Wiege mit herabgelassenen Vorhängen. Der Bürger Duplessis lief nach der Wiege hin und nahm einen kleinen Knaben heraus, der krank zu sein schien und fortwährend ächzte. Er zeigte ihn mir mit den Worten:
    »Das ist ihr Sohn.«
    Seine Stimme verriet Tränen, aber seine geröteten Augen blieben trocken.
    »Dies ist ihr Kind«, wiederholte er.
    Dann umarmte er es mit einer krampfhaften Hast, legte es wieder in sein Bett und fragte mit einiger Anstrengung.'
    »Ihr waret zugegen, Ihr habt ihn gesehen?«
    Ich machte eine bejahende Gebärde.
    »Als ein mutiger Mann, als ein Republikaner, nicht wahr?« fügte er hinzu, ohne das Wort sterben auszusprechen.
    Ich antwortete, seine letzten Worte hätten seinen Geliebten gegolten. Nach ziemlich langer Pause rang er plötzlich seine Hände, erbleichte und rief:
    »Und sie? o meine Tochter? meine arme Lucile? Werden sie ebenso unbarmherzig gegen sie sein wie gegen ihn? Ist es nicht zu viel für einen elenden Greis, zwei Kinder beweinen zu müssen? Man hält sich für einen Philosophen, mein Herr, man glaubt sich durch die Vernunft gegen den Gedanken an die Zerstörung gestählt … Gibt es denn aber eine Philosophie, gibt es eine Vernunft, wenn man unser Kind bedroht? wenn wir uns ohnmächtig fühlen, es zu verteidigen, für dasselbe zu kämpfen, unser Blut zu seiner Rettung zu vergießen? Mein Gott, wenn ich denke, daß es uns nicht erlaubt sein soll, ihren letzten Athem zu empfangen, daß sie sich abquälen, daß sie zwei Stunden Todesqual leiden soll, während wir uns hier in Sicherheit befinden, in diesem Hause, wo sie geboren wurde, in diesem Zimmer, wo sie spielte, vor diesem Herde, der sie erwärmte. Wenn wir uns sagen, daß sie vielleicht, noch unglücklicher als Camille, niemand anders haben wird, uns ihr letztes Lebewohl zu übersenden, als den elenden Henker, der sie tötet!«
    Ich fühlte, wie mich ein Schauer durchrieselte und mein Haar sich sträubte. Er ging im Zimmer auf und ab, indem er seine weißen, verworrenen Haare schüttelte und mit stierem Blick und wilder Miene die Fäuste ballte. Als er vor einer Büste der Freiheit, die auf dem Kaminsims stand, vorüberkam, warf er sie wütend herunter und zertrat die Trümmer vollends mit dem Fuße. Ich war zu gleicher Zeit entsetzt und bestürzt und fand kein Wort des Trostes, kein Wort der Hoffnung für ihn. Ich bedauerte bitter, den Bitten des armen Mannes nachgegeben zu haben. In diesem Augenblicke klingelte man; eine Bürgerin, etwa fünfzig Jahre alt, aber noch schön, obgleich das Gesicht von Verzweiflung entstellt war, trat ein und sank dem Bürger Duplessis in die Arme, mit den Worten:
    »Verloren! sie ist verloren! binnen drei Tagen wird sie vor das Tribunal geführt.«
    Sie war die Mutter von Desmoulins' Gattin. Ich entsetzte mich bei dem Gedanken, von dieser Frau erkannt zu werden, der ich das Glück ihrer Tochter geraubt und wahrscheinlich ihre eigene Tochter nehmen mußte; ich entfloh, als hätte ich ein Verbrechen begangen. Niemals habe ich so schmerzlich gelitten wie in Gegenwart dieser Unglücklichen.
    18. Germinal. Gestern erschien ein großmütiger Bürger vor der Schranke des Nationalkonvents und erbot sich, auf seine Kosten die Guillotine zu unterhalten.
    20. Germinal. Die Frau von Desmoulins befindet sich mit ihren Mitschuldigen bei der sogenannten Luxembourg-Verschwörung in der Conciergerie; morgen werden sie mit dem Bürger Anaxagoras Chaumette, Gobel, ehemaligem Bischof, dem Repräsentanten Simon und vielen anderen vor dem Tribunal erscheinen.
    24. Germinal. Der Prozeß der Frau des Bürgers Desmoulins wurde heute um zehn Uhr morgens geschlossen; um fünf Uhr abends war auch ihr Leben und ihr Schmerz beendigt. Als sie nach der

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