Tagebücher der Henker von Paris
Angelegenheit. Der Steuereinnehmer von ihrer Abteilung, ein ängstlicher und schwieriger Beamter, ist auf den Einfall geraten, daß der Patriotismus sich nicht von der Steuerzahlung ausschließen dürfe, besonders wenn diese Steuern in die Staatskasse fallen; infolgedessen hatte er an die Gesellschaft geschrieben und mehrere Quartalbeträge fälligen Mietzinses gefordert, welche sie der Nation als Eigentümerin des Lokals der Jakobiner schulde. Die Entrüstung war groß und verlor an ihrer Heftigkeit nichts, als Collot d'Herbois, nachdem er die Gesinnung der Versammlung geprüft, rund heraus verlangte, der Schuldige solle vor das Revolutionstribunal gestellt werden, damit dieses seine Rechnungen ins reine bringe. So sind wir also zu jener Zeit zurückgekehrt, wo die großen Herren ihre Gläubiger zum Fenster hinauswarfen, mit dem Unterschiede nur, daß dieses Fenster heute nur eine Dachluke ist und die Guillotine heißt. Heute wurden sechs Verurteilte hingerichtet.
3. Floreal. Die angesehenen Bürger, die Männer von Besitz folgen sich ohne Unterbrechung auf der Guillotine. Wie viele wird man noch verschlingen? Die, welche uns regieren, sollten jedoch bedenken, daß diese täglichen Schlächtereien sehr gehässig geworden sind. Selbst die Troßbuben der Guillotine haben von ihrer Hitze und Wut verloren, und was die wirklichen Bürger anbelangt, so sind diese jetzt ganz anders gesonnen als im Pluviose. Wenn die Karren ankommen, so ist es, als ob die Pest vorbeizöge: Türen, Fenster, Läden werden geschlossen, die Straße bleibt öde. Heute fuhren wir den Bürger Lamoignon de Malesherbes, der bei Gelegenheit des Prozesses gegen den König in so mutiger Weise an den Konvent schrieb:
»Ich bin zweimal von demjenigen, den ihr richten wollt, zu Rate gezogen worden, zu einer Zeit, wo dieses Amt von aller Welt begehrt wurde; ich bin ihm denselben Dienst jetzt schuldig, wo viele Leute dieses Amt gefährlich finden.«
Er ist auf seinem Landgute Malesherbes mit seiner ganzen Familie verhaftet worden; der vorgestern hingerichtete Präsident von Rosambo war sein Schwiegersohn; heute wurde seine Tochter und Enkelin mit ihm guillotiniert. Nach seiner Verhaftung hatte man ihn in das Haus von Port-Libre gebracht; dort begegnete er einem ehemaligen Hilfsarbeiter von seinem Ministerium, der ganz erstaunt ausrief: »Sie sind hier, mein Herr?«
Er antwortete lächelnd: »Ja, mein Freund, in meinen alten Tagen bin ich ein schlechter Mensch geworden und lasse mich ins Gefängnis setzen.«
d'Espremenil, der in dem alten Parlament so viel Aufsehen machte, gehört auch zu den Verurteilten; er zählt zu denen, welche zuerst von ihrer Begeisterung für die Republik zurückkamen, und hatte in der gesetzgebenden Versammlung das Königtum ebenso warm verteidigt, wie er es ehemals angriff. Am 10. August wurde er auf der Terrasse der Feuillants von den Wütenden, die ihn erkannten, mit Schlägen, Säbelhieben und Pikenstichen verwundet. Als Péthion ihm zur Hilfe kam, zeigte ihm d'Espremenil seine Wunden mit den Worten:
»Und auch ich war der Abgott des Volkes wie Sie.«
An diese Worte hat sich der arme Péthion wahrscheinlich erinnert, als er auf den Getreidefeldern von Saint Emilion mit Hunden gehetzt wurde. Die Parlamentsbeamten erinnerten mich an die alten Römer. Lamoignon Malesherbes ließ mich an Sokrates und Cato denken; er starb mit der lächelnden Standhaftigkeit eines Weisen und mit der Ruhe, die ein gutes Gewissen verleiht. Als ich mich ihm näherte und ihn zum Sitzen aufforderte, zog er gerade seine Uhr auf und sprach:
»Ich stehe dir gleich zu Diensten, mein Freund!«
Darauf steckte er die Uhr in die Tasche und folgte mir. Als sein Haar abgeschnitten und seine Hände gebunden waren, bat er mich, ihm die Perücke wieder aufzusetzen. Nicht etwa deswegen, meinte er, weil ein Schnupfen viel für ihn zu bedeuten hätte, sondern weil ihm die Kälte unangenehm sei, denn er sähe wohl ein, daß er bis zu seinem Tode ein weichlicher Mensch bleiben würde. Dann ging er zu Châteaubriand, dem Gemahl seiner Enkelin; dieser sowie seine Frau und die Witwe Rosambo, Malesherbes' Tochter, knieten nieder, und der Greis segnete sie alle drei. Von allen, welche diesem Auftritt beiwohnten, war er am wenigsten gerührt. Als er die Stufen herabstieg, um die Conciergerie zu verlassen,strauchelte er und wäre gefallen, wenn wir ihn nicht gehalten hätten; sich an seine Kinder wendend, sprach er:
»Das nennt man eine böse Vorbedeutung! Ein Römer an
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