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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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Conciergerie kam, rührte sie alle Leute durch den Ausdruck ihrer Verzweiflung. Einen Augenblick hielt man sie für verrückt und hoffte, obgleich dies eine kühne Hoffnung war, ihre Verstandsverwirrung könnte sie vom Schafott retten; aber der Gedanke, ihren Camille wiederzusehen, herrschte in diesem gestörten Hirne vor, und dieser Gedanke war so mächtig, daß sie in der Gerichtssitzung die ganze Klarheit ihres Geistes wieder erhielt; sie antwortete dem Vorsitzenden Dumas mit großem Nachdruck und mit Lebhaftigkeit. Sie wäre schneller abgefertigt worden, denn die Angelegenheit hat nicht weniger als drei Sitzungen in Anspruch genommen, aber man hielt es für schicklich, die Angeklagten der vorgeblichen Luxembourg-Verschwörung mit den Mitschuldigen Héberts, Vincents und Ronsins zu vereinigen, d. h. mit Leuten, die sich gegenseitig verabscheuten; es saßen fünfundzwanzig auf den Bänken, von denen neunzehn verurteilt und hingerichtet wurden. Der Bürger Chaumette, Schriftsteller und Agent der Pariser Kommune, verleugnete seinen Ruf als Philosoph nicht; er ertrug sein trauriges Schicksal mit großer Festigkeit und unerschütterlicher Heiterkeit des Gesichts; von Zeit zu Zeit wendete er sich an das Publikum mit seiner gewöhnlichen Beredsamkeit. Aber dieses Volk ist unter der Republik ebenso wandelbar und vergeßlich, wie es unter dem alten Regime gewesen ist. Vor vier oder fünf Monaten galt der Bürger Chaumette bei den Parisern noch für eine große Berühmtheit; es war die erste Sorge des Fremden, seine Reden zu hören; man drängte sich an die Türen des Gemeindehauses; heute antworteten viele dieser damals Begeisterten auf seine ergreifenden Worte nur mit Spottgeschrei.
    In seiner Verteidigung entwarf Chaumette in kurzem seine Lebensbeschreibung.
    »Ich habe erklärt,« sprach er, »daß ich der Sohn eines ehrlichen Handwerkers bin; dreizehn Jahre alt, ging ich zur See; ich begann als Schiffsjunge und wurde Steuermann; nach dem beendigten amerikanischen Kriege hoffte ich, die Freiheit in meinem Vaterlande hergestellt zu sehen. Vom Adel und den Priestern, namentlich von den Bischöfen verfolgt, warf ich mich in die Schriftsteller-Laufbahn; ich übersiedelte nach Avignon, wo ich das Tageblatt dieser Stadt schrieb. Dann eilte ich bald nach Brest, bald nach Calais, bald nach Marseille; überall lieferte ich Artikel von philosophischem Wert.
    In mein Departement zur Zeit der Revolution zurückgekehrt, ergriff ich die Partei der Sansculotten. Ich erklärte den Generälen der Nationalgarde, welche zuletzt auswanderten, den Krieg. Meine Mitbürger forderten mich auf, den zu Nancy verstorbenen Patrioten die Leichenrede zu halten; darauf schilderte und entlarvte ich Bouillé; ich wagte es, Schmähschriften gegen Lafayette zu schleudern. Ich kam nach Paris, Loustalot lebte noch, Prudhomme nahm mich auf, und ich arbeitete bis zum 19. August an den ›Révolutions de Paris‹. Mein Benehmen während dieser denkwürdigen Zeit ist bekannt. Seitdem wurde ich vom Volk zu einem Gemeindeamte berufen, und man weiß, wie ich seine Rechte wahrgenommen habe. Jetzt soll der Gerichtshof mein Todesurteil sprechen. Ich bin ruhig über mein zukünftiges Geschick!«
    Ganz anders war Gobels Haltung; mit dem Unglück war ihm das Gewissen erwacht; er hörte nicht auf, den Gott, den er geleugnet hatte, anzurufen. Er beichtete seinem ehemaligen Vikar, dem Bürger Lothringer, der sich entschieden geweigert hatte, seinen Glauben abzuschwören. In dem Vorzimmer der Kanzlei kniete der ehemalige Bischof nieder und bat mit lauter Stimme um Verzeihung für den Skandal, den er verursacht hatte; er wollte Chaumette vorpredigen, aber dieser fiel ihm gleich in die Rede und sagte ihm mit Entrüstung:
    »Stirb du in deinem Glauben, ich werde in dem meinigen sterben; wenn es einen Gott gibt, so mag er mir die Fehler, die ich in guter Meinung beging, verzeihen, aber er würde mir nicht eine Lüge, die mir die Furcht eingeflößt, vergeben.«
    Beysser zeigte bis zum letzten Augenblicke völlige Sorglosigkeit. Die Bürgerin Desmoulins benutzte die wenigen Augenblicke, die ihr nach dem Urteilsspruch blieben, sich zu schmücken, als ob dieser Tag ihr zweiter Hochzeitstag wäre. Sie war ebenso wie die Witwe Heberts in das Zimmer der Gefängnisschließer gebracht worden und sollte dort bis zum Abgange bleiben; dort haben wir sie zur Hinrichtung vorbereitet. Die Witwe Hébert weinte sehr; die Bürgerin Desmoulins lächelte im Gegenteil; mehrmals umarmte sie die

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