Tagebücher der Henker von Paris
Christusbilde, das über dem Kamine befestigt war, niederknieend, zu beten.
Diese Tränen und das Gebet einer Fremden hatten ihre stumme und ergreifende Beredsamkeit; mein Ahne begriff, daß Colombe tot sei, seine Kräfte verließen ihn, und von der Unermeßlichkeit seines Schmerzes vernichtet, verlor er zum zweiten Male das Bewußtsein.
Ein heftiges Fieber bemächtigte sich seiner. Er hatte heftige Anfälle von Raserei.
Dann sank er in eine Art Erstarrung, die mehrere Tage anhielt.
In der ersten Periode dieses Zustandes glaubte er mehr als einmal die anmutige Figur des jungen Mädchens zu sehen, die sich über sein Bett beugte und den Kranken angstvoll betrachtete.
Als er aber erst seine ganze Besinnung wiederhatte, war sie es immer, die seine Blicke suchten, wenn er erwachte, er fand sie dann aber niemals bei sich. Eine alte gute Frau hatte die Stelle seiner reizenden Krankenwärterin ersetzt.
Hin und wider sah er auch seinem Bette einen Mann sich nähern, dessen Gesicht ihn eigentümlich betroffen machte, denn es schien ihm, daß er diesem Manne nicht zum ersten Male begegne.
Eines Abends, als Charles eben erwacht war, trat sein Wirt in das Zimmer, ergriff seinen Arm und zählte aufmerksam die Pulsschläge; dann sagte er: »Mit Freuden kann ich bestätigen, daß der Tod Sie dieses Mal nicht gewollt hat, Herr von Longval.«
Bei dem Tone dieser Stimme waren die Erinnerungen meines Ahnen bestimmt geworden; er hatte den Fremden wiedererkannt, den der Chevalier von Blignac zum Abendessen im »Klaren Anker« eingeladen, denselben, der ihm so eigentümliche Worte gesagt hatte.
Er setzte sich in seinem Bette auf, schüttelte herzlich die Hand, welche die seinige hielt, und sagte mit traurigem Lächeln:
»Mein Herr, wenn Sie ein ebenso sicherer Prophet sind, wie Sie sich als guter Arzt gezeigt haben, so hätten Sie vielleicht ruhig den Tod sein Geschäft an mir verrichten lassen sollen.«
Dann fügte er in traurigem Tone hinzu:
»Wollen Sie mich wohl an die Stelle führen, wo sie ruht?«
Der Herr des Hauses war weit davon entfernt, Charles' Bewegung zu teilen; sein mürrisches Gesicht drückte mehr schlechte Laune als Mitgefühl aus.
»Herr von Longval,« sagte er, »Sie scheinen mir von Ihrem Zufalle und Ihrer Krankheit weit genug wieder hergestellt, daß eine Reise von einer Stunde keine bösen Folgen mehr für Sie haben kann. Ein Mann von mir führt in dieser Nacht einen Karren nach Dieppe; er wird Sie ohne Anstrengung nach Hause bringen, und der Wächter des Kirchhofes wird Ihnen den Dienst erweisen, den Sie von mir verlangen.«
Obwohl mein Ahne die sonderbaren Formen dieses Mannes schon kannte, war er über diese Roheit erstaunt, die sich so schlecht mit der ihm erwiesenen Sorgfalt vertrug.
»Sei es so,« sagte er. »Ehe wir uns aber trennen, mein Herr, werden Sie mir wenigstens sagen, wie man Sie nennt.«
»Beten Sie für die, welche leiden, Herr von Longval, und Sie werden auch für mich gebetet haben. Meinen Namen zu kennen, würde Ihnen nicht von Nutzen sein, und wenn Sie mir wirklich einigen Dank für die Gastfreundschaft, die ich Ihnen zuteil werden ließ, schuldig zu sein glauben, so beweisen Sie ihn dadurch, daß Sie nicht mehr in mich dringen.«
»Dürfte ich nicht wenigstens
ihr
Lebewohl sagen, die –«
Der Mann unterbrach ihn rauh, indem er in finsterem Tone rief:
»Reisen Sie ab! Wir sind uns schon zweimal in der Welt begegnet, Herr von Longval; Gott gebe, daß es das letztemal gewesen sei!«
Dann half er meinem Ahnen, sich anzukleiden; dieser fand auf dem Hofe einen kurzen Karren, vor den ein Pferd gespannt war, und neben diesem Karren eine Art von Bauer von riesenhafter Gestalt, der ihn zu erwarten schien.
Er wandte sich um, seinem Wirte zum letzten Male zu danken, aber dieser war schon in das Haus getreten und hatte die Tür hinter sich zugeschlossen.
In diesem Augenblick, als der Karrenführer, der eine große Ungeduld, abzufahren, an den Tag legte, dem Offizier behilflich war, in den Karren zu steigen, glaubte dieser zu bemerken, daß der Vorhang des einzigen Fensters der oberen Etage, das erleuchtet war, sich bewege und daß die reizende Figur des jungen Mädchens, das er am Morgen gesehen hatte, hinter den Vorhängen verschwinde.
Der schwere Karren rüttelte und setzte sich in Gang.
Umsonst versuchte er den Karrenführer zum Sprechen zu bringen; dieser schien entschlossen, genau der Weisung, stumm zu bleiben, die er wahrscheinlich erhalten hatte, Folge zu leisten. Alles,
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