Tagebücher der Henker von Paris
erklären, von wem er die bei ihm gefundene strafbare Schrift habe.
Als der Meister auf der ersten Seite den Titel des Pamphlets: »Der Schatten Herrn Scarrons« las, von dem er, wie sein Handwerk es mit sich brachte, hatte sprechen hören, wurde er bleich, seine Knie wankten, und er faßte sich an die in Schweiß gebadete Stirn; eine Weile blieb er stumm, niedergeschmettert durch die Erwägung der ihm drohenden Gefahr.
Er ergriff das Wort nur wieder, um sich auf seine Unschuld zu berufen, bei allem, was auf der Erde heilig ist, zu versichern, daß er durchaus keine Kenntnis von der Anwesenheit dieser fatalen Broschüren in seinem Magazin gehabt habe und daß er sie zum erstenmal sähe. Die Gefreiten antworteten ihm, er möge das alles nur seinen Richtern sagen, und schickten sich an, ihn mit sich zu nehmen.
Die Frau Jean Larchers saß in einem Winkel des Zimmers, hatte ihr Gesicht mit der Schürze verhüllt und schien, nach ihrem Schluchzen zu urteilen, in der größten Betrübnis.
Als Jean Larcher über die Schwelle schreiten wollte, bat er den Gefreiten, mit dem er sich in so freundschaftliche Beziehungen gesetzt hatte, ihm zu erlauben, daß er der, welche er nicht mehr wiederzusehen fürchtete, Lebewohl sagen dürfe.
So hart auch sonst das Herz dieses Mannes, so gewöhnt er an solche Szenen war, hatte ihn die Verzweiflung doch gerührt; er machte seinen Gefährten ein Zeichen, anzuhalten, und der unglückliche Ehemann rief dreimal:
»Marianne! Marianne! Marianne!«
Aber seit einer Weile war das Schluchzen der Frau Larcher nur noch heftiger geworden, und sie schien die Stimme ihres Mannes gar nicht mehr zu hören.
Die, welche ihn umgaben, führten sie zu ihm; sie zögerte noch einen Augenblick, dann warf sie sich plötzlich an seine Brust und umarmte ihn mit allerlei Ausbrüchen des Schmerzes und der Zärtlichkeit.
Dieses Zögern war dem Gefreiten nicht entgangen, der überdies noch bemerkt hatte, daß Frau Larcher nach Weise der Kinder weinte, das heißt, daß ihre Augen trocken waren und ihre Wangen keine Spur von Tränen zeigten.
Dies kam ihm so sonderbar vor, daß er, obgleich gegen solche Unschuldsbeteuerungen sehr gleichgültig, zu argwöhnen begann, die Worte Jean Larchers könnten wohl wahrhafter sein als die mancher Schuldigen, wie er sie sonst gewöhnlich zu arretieren hatte.
Als sein Gefangener in das Châtelet aufgenommen worden war, teilte er Herrn de la Reynie seine Vermutungen mit. Er erinnerte ihn daran, daß es eine anonyme Denunziation sei, die genau den Ort bezeichnet hatte, wo Jean Larcher die Pamphlets verborgen halten sollte; er erzählte ihm, wovon er Zeuge gewesen, und machte ihm alles klar, was vermuten ließ, der unglückliche Buchbinder sei unter solchen Umständen das Opfer einer abscheulichen Intrige.
Aber der Polizeileutnant hatte diese Verhaftung schon dem Könige angezeigt, und der König hatte ihm zu seinem Erfolge gratuliert; er hielt den Schuldigen fest und war keineswegs der Mann, seine Beute für einen Schatten loszugeben, das heißt für die ungewissen Chancen einer Untersuchung.
Wenn auch einige Vermutungen zugunsten des Angeklagten sprachen, so lagen doch schwere Bedenken gegen ihn vor. Bevor Herrn de la Reynies Polizei die Flugschrift in seinem Besitze gefunden, hatte Jean Larcher sich schon große Blößen gegeben. Er war bekehrter Protestant, hatte geduldet, daß sein Sohn dem Glauben seiner Väter treu bleibe und nach England gehe, um sich dort ein Asyl gegen alle Verfolgungen zu suchen. Zu diesem Verbrechen kam noch ein anderes: daß er nämlich mit diesem Sohne in steter Verbindung geblieben war, wie eine Anzahl in seiner Behausung gefundener Briefe bewies.
Der Prozeß wurde gegen Jean Larcher allein geführt.
Man brachte ihn dreimal auf die Folter, und er hielt sie mit einer Festigkeit aus, die man einem schon so bejahrten armen Bürger nicht zugetraut hatte. Er weigerte sich beständig, seine Mitschuldigen zu nennen. Auf alle an ihn gerichteten Fragen erwiderte er, es sei an dem Tode
eines
Unschuldigen genug für das Gewissen der Richter, er wolle nicht, daß durch seine Schuld die Seelen der letzteren auch noch für anderes vergossenes Blut verantwortlich werden sollten.
Zum Tode durch den Strick verurteilt, wurde er Freitag, den 19. November 1694, um sechs Uhr abends zur Hinrichtung geführt.
Er saß auf dem Karren neben einem gewissen Rambault aus Lyon, Buchdruckereigehilfe bei der Witwe Charmot in der Rue Vieille-Boucherie, der wegen derselben
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