Tagebücher der Henker von Paris
und Nerven der menschlichen Maschine hatten dieser furchtbaren Erschütterung widerstanden.
Dreimal zogen die Pferde, durch Geschrei und Peitsche angetrieben, mit aller Kraft an, und dreimal riß sie der Widerstand zurück.
Man bemerkte nur, daß die Arme und Beine des Delinquenten sich unverhältnismäßig verlängerten, aber er lebte immer noch, und man hörte seine Atemzüge, röchelnd wie den Blasebalg einer Schmiede.
Die Scharfrichter waren bestürzt; der Pfarrer von Saint-Paul, Herr Guéret, wurde ohnmächtig, der Greffier verbarg sein Gesicht in seinem Gewande, und in der Volksmenge vernahm man ein dumpfes Murmeln, wie den Vorläufer eines Sturmes.
Als darauf Herr Boyer, der Wundarzt, nach dem Stadthause hin geeilt war und den Richtern angekündigt hatte, daß die Zerreißung nicht würde stattfinden können, wenn man den Anstrengungen der Pferde nicht durch Zerschneiden der großen Nerven zu Hilfe käme, erfolgte die Genehmigung dazu.
Man hatte kein Messer zur Stelle; André Legris hieb mit der Axt in die Verbindungen der Arme und Schenkel des Unglücklichen.
Fast in demselben Augenblick wurden die Pferde wieder angetrieben; ein Schenkel löste sich zuerst, dann der andere, dann ein Arm.
Damiens atmete noch immer.
Endlich, als die Pferde noch an dem einzigen gebliebenen Gliede rissen, öffneten sich seine Augenlider und seine Augen kehrten sich gen Himmel; der unförmliche Rumpf war zum Sterben gelangt.
Als die Knechte des Scharfrichters diese traurigen Überreste von dem Sankt-Andreaskreuze losbanden, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, bemerkte man, daß die Haare des Delinquenten, die, als er auf dem Grèveplatze anlangte, noch braun gewesen, jetzt weiß wie Schnee geworden waren.
Dies war die Hinrichtung Damiens'.
Wer sich am meisten über diese greulichen Vorgänge betrübte, war König Ludwig XV. Als man ihm erzählte, was auf dem Grèveplatze vorgegangen sei, stieß er Rufe des Schmerzes aus, floh in seine innersten Gemächer und warf sich auf sein Bett, um wie ein Kind zu weinen. Der Anteil, den die Herren Machault und d'Argenson an der Leitung dieser gräßlichen Prozedur gehabt hatten, war nicht wenig an der Ungnade schuld, in welche die beiden Minister später fielen.
Der Henker und das Parlament
Das Dessert nach der Jagd; der Prozeß.
Jean Baptiste Sanson war im Monat Januar 1754 von einem Schlaganfalle heimgesucht worden, von dem er nie genas und der lange vor der Zeit einen hinfälligen Greis aus ihm machte.
Aus seiner Ehe mit Madeleine Tronson hatte er zehn Kinder, darunter sieben Knaben, die dem düsteren Handwerk ihres Vaters gewidmet wurden. Der eine kam nach Rheims, der andere nach Orléans, die übrigen nach Meaux, Etampes, Soissons, Montpellier usw.
Der Älteste, Charles Henri Sanson, den man den Herrn von Paris nannte, um ihn von seinen Brüdern zu unterscheiden, war unbestreitbar der moralisch und physisch begabteste unserer Familie. Schön und wohlgebaut, verband er mit diesen Naturgaben einen gewandten Geist, der durch eine vortreffliche Erziehung gebildet worden war. Er besaß viel Eleganz und hatte durch den Luxus seines Kostüms die allgemeine Aufmerksamkeit derartig auf sich gelenkt, daß man sich zu einem Akte der Willkür gegen ihn hinreißen ließ, indem man ihm unter dem Vorwande, es sei die Farbe der Edelleute, die blaue Farbe zu tragen verbot.
Charles Henri Sanson hielt es nicht der Mühe wert, die alten Pergamente des Hauses von Longval auszukramen und die Frage zu stellen, ob das Scharfrichteramt auch den Verlust des Adels nach sich ziehe, sondern er begnügte sich, sich noch reichere Kleider, aber von grüner Farbe machen zu lassen. Er brachte diese Farbe in die Mode, und bald nahmen alle Elegants des Hofes und der Stadt, der glänzende Marquis von Létorières an der Spitze, den Schnitt und die Farbe dieser Kleider an und begannen sich
à la Sanson zu tragen.
Mit diesem Charles Henri Sanson, meinem Großvater, beginnt die interessanteste und diesmal ununterbrochene Folge dieser Memoiren. Ehe ich aber die bedeutenden Aufzeichnungen bringe, die er über die Revolution hinterlassen hat, möchte ich ihn noch einmal in einem Abenteuer seiner Jugend auftreten lassen, worüber er einen Bericht aufbewahrt, den ich wörtlich abschreibe:
Nach einem langen Jagdtage kam ich zur Mittagsstunde in ein Haus, in dem ich die Frau Marquise von X., die soeben von ihrem Gute nach Paris zurückkehrte, traf. Diese Dame machte mir eine tiefe Verbeugung, bot mir einen
Weitere Kostenlose Bücher