Tagebücher der Henker von Paris
barmherzigen Gottes, der Urenkelin der alten Könige von Frankreich ein Almosen!«
Diese Worte setzten Frau de Boulain-Villiers in Erstaunen; sie ließ ihren Wagen anhalten und fragte das Kind um eine Erklärung dieser so merkwürdigen Bettlerformel.
Zufällig ging der Geistliche des Ortes vorüber; er hatte das Gespräch gehört, näherte sich und berichtete Frau de Boulain-Villiers, daß dieses Kind wahr gesprochen hätte und daß es in gerader Linie von Henry de Saint Rémy, dem ehelichen Sohne von Henry II. und Nicole de Savigny abstamme.
Frau de Boulain-Villiers erbat sich weitere Aufschlüsse in betreff des Mädchens und erfuhr, daß es eine vater- und mutterlose Waise sei, die von der Barmherzigkeit der Gemeinde lebe. Da niemand Einspruch zu machen hatte, so führte die erwähnte Dame ihren kleinen Schützling nach Paris. D'Hozier untersuchte ihren Stammbaum, und so wurde sie für die kleine Jeanne de Valois anerkannt, deren Bruder und Schwester im vollkommenen und rechtlich anerkannten Besitz der väterlichen Würde waren.
Frau de Boulain-Villiers ließ ein Schriftstück über das ganze Ereignis aufsetzen und es der Königin und dem Herrn de Maurepas durch den Herzog de Brankas-Céreste überreichen. Infolge dieser Schrift wurden den Kindern im Wege der königlichen Gnade Pensionen bewilligt. Der Knabe wurde in die Marine eingestellt, und er starb als Schiffsleutnant unter dem Namen eines Barons de St. Rémy de Valois.
1780 verheiratete sich Jeanne de Valois mit dem Grafen de la Motte von der königlichen Leibgarde.
Herr de la Motte besaß nichts als sein jährliches Gehalt, die Mitgift seiner Frau belief sich auf eine sehr kleine Pension, und so kam es denn, daß die häuslichen Verhältnisse des Paares nicht in rechtem Einklange mit der Vorliebe der beiden Gatten für Luxus und Vergnügungen standen. Von dem heißen Verlangen erfüllt, soviel als möglich zu glänzen, stand Frau de la Motte keinen Augenblick an, in den damals bei Hofe üblichen Ränken die Quellen zu suchen, welche sich ihr nicht freiwillig öffneten.
Frau de la Motte, sagt der Abbé Georgel in seinen Memoiren, besaß zwar nicht den strahlenden Glanz der Schönheit, aber sie war mit allen Reizen der Jugend ausgestattet. Ihr Antlitz zeigte viel Geist und zog jedermann an; ihr ganzes Wesen verkündete jene angeborene Vornehmheit, welche überall siegt. Abbé Georgel schreibt Frau de la Motte in seinen Erzählungen eine unwiderstehliche Beredsamkeit zu, und alle ihre Zeitgenossen stimmen darin überein, daß das verführerische Äußere der jungen Dame den Geist und die wunderbaren Anlagen der Zauberin Circe verbargen.
Die ganz besondere Zuneigung, mit der der Kardinal de Rohan die Gräfin de la Motte beehrte, war somit in ihrem Ursprunge nicht ohne gewissen Eigennutz. Man wird davon doppelt überzeugt sein, wenn man sich an die leichtfertigen Sitten und Gewohnheiten des vornehmen Prälaten erinnert, und niemand wird an eine uneigennützige Freundschaft beider glauben, wenn man von seinen eigenen Lobrednern hört, daß die Großmut des Herrn de Rohan gegen die Gräfin ihn schon vor der Halsbandgeschichte für seine bezaubernde Freundin eine Summe von hundertundzwanzigtausend Livres ausgeben ließ.
Obwohl sich Frau de la Motte der innigsten Zuneigung ihres Gönners erfreute, spielte sie doch keine ganz aufrichtige Rolle gegen ihn. Sie erkannte sehr wohl die geheimen Wünsche des ehrgeizigen Prälaten, sie wußte, daß Herr de Rohan nur neben ihr, einer schönen und geistreichen Prinzessin, die der Herrschaft über ihren Gatten angeklagt war, die Rolle spielen wollte, welche der Kardinal Mazarin bei Anna von Österreich gespielt hatte. Sie schmeichelte seinem Ehrgeiz und hoffte durch ihre Klugheit und die Schwäche des vornehmen Mannes ihr Glück zu machen. Die fast einfältige Gutmütigkeit, mit der Herr de Rohan in die Falle ging, welche ihm die kluge Dame stellte, kann einen Maßstab von seinem sehr beträchtlichen Dünkel geben.
Die Gräfin de la Motte redete zuerst dem Kardinal ein, daß sie das innigste Vertrauen der Königin besäße. Von den seltenen Eigenschaften des Groß-Almoseniers [6] überzeugt, habe sie mit dieser Fürstin so oft und mit so viel Beredsamkeit von ihm gesprochen, daß die Königin nunmehr jene traurigen Momente vergessen hätte, die den Kardinal seit der unglücklichen Wiener Gesandtschaftsreise in Ungnade fallen ließen. Ihre Vorstellungen, versicherte die Gräfin de la Motte, wären schließlich so
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