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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Pfennig hat, dessen STERNrente an die Geschiedene geht und der sich in diesem Alter von Honorar zu Honorar (das nicht kommt) hangeln muß. Schreckensvision. Und groteske Erinnerung, wenn ich denke, wie ich ihn kennenlernte: in der Film-Villa in Pullach mit Hausbar und eingepflanzten Blumen in derselben, ich vor Hunger (war gerade aus Ostberlin angelangt) fast ohnmächtig werdend, weil ich die Sitte der «drinks» nicht kannte, lieber ein Schinkenbrot erbeten hätte, was ich mich nicht traute, in meinem einzigen Nyltesthemd, das ich überhaupt besaß (ich hatte 500, das war alles, und den Kindler-Vertrag zwar in der Tasche, aber gezahlt gab’s ja erst NACH dem ersten Monat). Und Kuby spielte mit Joachim Kaiser auf ZWEI Flügeln im «Musiksalon» Tschaikowsky – – – – zum «Einzug der Russen in München». Das war ich …
    Den Abend davor Essen mit Schuldt, absonderlicher Mensch, Platschek (den er prompt auch sehr mag) in blond, hoffärtig («So ne Literatur wie die des Herrn Grass …») und witzig-arrogant. Ein beschwingter Abend im sommerlichen Garten Il Giardino, der bei (zu) viel Wein ein schnelles Ping-Pong war, bei mir bei noch mehr Wein endete – und mit Umarmung und Kuß. Auch das komisch – wenn die Deutschen besoffen sind, fassen sie auch schon mal dem Buchhalter an den Schwanz. Dabei ist der garnicht so «deutsch», lebt (wovon eigentlich?) das halbe Jahr in New York, wo er eine Wohnung BESITZT UND ein Haus hier um die Ecke.
    Das ist schon ein seltsames Land, in dem selbst die experimentellen Dichter Landhäuser und die Avantgardisten Zweitwohnsitze haben.
    Im Flugzeug nach München, den 29. Mai
    Klaus Manns Tagebücher. Ärgerlich zwischen «Chokolade im Schwimmbad genommen», «Tee bei …» und «Cognac mit …»; derlei Manikür- und Haarewaschen-Notizen erlaubt man (und vergnügt sich dran) THOMAS Mann, bei dem es die amüsantpittoresken Details, gleichsam Hobelspäne eines großen Werks, sind. Hier etwas Bürschchenhaftes, zwischen München, Berlin, Paris und Skilaufen in der Schweiz, Venedig und Westerland. Ich reise ja auch viel, aber eben BERUFLICH, ich bin ja in Bogotá oder New York nicht zum Vergnügen. Und nicht von Papas Geld.
    SEHR ärgerlich auch die hingesauten Anmerkungen, aus denen man weder erfährt, wer «Gustav» ist, noch was es mit «Ullstein-Appeasement-Politik» auf sich hatte; da steht dann allen Ernstes: «Ullstein: Berliner Zeitungsverlag.»
    31. Mai
    Rückfahrt von meiner letzten Vorlesung – wohl der wirklich letzten: Ich will nicht mehr; es strengt mich zu sehr an; ich sehe die honorarlose Honorarprofessur nicht mehr ein –. Was war mir das – der Titel – mal wichtig; nun gebe ich es ohne Zwang auf.
    Klaus Mann, Cocteau: Es gibt offenbar Leute, die mit ihrer Person – ihrem «Ruhm» – das Werk verdrängen, in den Schatten drängen; auch ich? Alle drei (die Begabungsunterschiede mal außer acht gelassen) tanzten wir auf 1000 Hochzeiten, Klaus Mann – scheint mir – am oberflächlichsten (Canetti hat dieses von Tisch zu Tisch der Namhaften Hüpfenden beschrieben); und alle drei leiden wir darunter, als Schriftsteller nicht ernst genommen, nicht genug anerkannt zu werden. Solche Leute – ist das spezifisch homosexuell? – drehen zu viele Pirouetten, mäßigen sich nicht, und ohne Mäßigung kein «Werk». Goethe über Johann Christian Günther: «Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten.»
    Auch typisch für «diese drei»: im Wirbel die Sehnsucht nach Ruhe, nach Partnerschaft. Klaus Mann wünscht ja quasi in dem Moment den Freund herbei, in dem er es mit irgendeinem Matrosen oder Stricher treibt. Wie es wohl gewesen wäre, wir hätten uns «richtig» kennengelernt? Ich war ja als Knabe geradezu verliebt in ihn (hatte sein Foto auf dem Schreibtisch) – da irrte er ohne Freund und mit von Koks zerfressenen Nasenlöchern durchs Leben; respektive in den Tod. Ich erlebte ihn noch bei einem Vortrag; und danach … Er notiert: «Irgendwo ist einer – ich warte auf ihn.» Ich war «irgendwo» …
    Kampen, den 3. Juni
    Ganz zusammengefaltet in meinem Sanssouci (das wieder schön wie immer, verschönt noch durch den inzwischen angemauerten syrisch-römischen Kopf, prunkend mit Töpfen voll geklauter Lupinen und lichtüberflutet von der nicht enden wollenden Junisonne); tue mal die ersten Tage nichts, lese den grauslichkitschig geschriebenen «Cinemascope»roman MARIE ANTOINETTE von Stefan Zweig – wobei mir meine Mondäne

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