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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Fremden, bis zum Schlafzimmer und Badezimmer mit Besitzerstolz zeigt; der Kleinbürger mit großem Portemonnaie (wie viel doch diese Bilderblatt-Macher verdienen!!!): nur grausliche Möbel, ausgebaute Dauben mit falschem Ikea-Holz ausgeschlagen und vollkommen verloren sinnlos, geradezu weinend dazwischen auf weißem Schleiflack einige traumhaft-schöne Tiffanylampen (auch im Museum 2 sehr schöne Tiffanyfenster – das eine doch tatsächlich in der scheußlichen «Cafeteria»).
    Während dieser alternde Elefant mit Hörgerät und naßgekämmtem Weißhaar polternd von sich, dem Besuch Weizsäckers, dem Sonderzug durch Europa oder dem Sonderzug mit den «Mädchen» (Dönhoff, Knef), den ihm der STERN zu seinem Geburtstag schenkte, erzählt und dabei ständig betont, daß ihn «Hamburg» nichts mehr angehe – merkt man, daß er wie alte Feldwebel vom Krieg von nichts anderem erfüllt ist. Mehr noch: Daß es für solche Leute überhaupt nur die Welt der Journalisten gibt, ist mir so bisher kaum aufgegangen; sie leben wie die Bonner unter einer Glocke, ohne Kontakt zur Außenwelt – in diesem Falle interessanterweise auch ohne Kontakt zu Künstlern oder Schriftstellern. Statt der Preise hätte er doch von einem Besuch bei Christian Schad (kein Bild!) oder einer Begegnung mit George Grosz (kein Bild!) oder Dix (kein Bild!) erzählen können. Nix. Aber was Schulte-Hillen gestern zu Augstein und der Herr Steinmayr über Haug von Kuenheim gesagt, daß «die Gräfin» ihm den Weizsäcker «besorgt» und wie sehr krank (der Hitlertagebuchchefredakteur) Peter Koch sei; auch da übrigens eine Scene, die darzustellen eines Chaplin bedürfte: Während er mir von der 4stündigen Krebsoperation und dem Darm «voll mit Metastasen» berichtet, wird er fotografiert – und dreht sich mit dem schief-falschen Lächeln dieser Leute in die Kamera, unterbricht den Todesbericht, lächelt, spricht weiter, nächster Fotoblitz, nächstes Lächeln, weiter mit den Metastasen –.
    Als ich die leckeren Hühnchen am Grill in der Küche sah, floh ich. Verabschiedete mich eilends bei der Hausherrin (die wie eine Sekretärin in der Redaktionskonferenz angeherrscht wurde: «Stühle weg, aber rasch!» – immerhin die Lebensgefährtin), die prompt «das Couvert» (mit dem Honorar) nicht parat hatte – – – – – und saß aufatmend kurz vor 8 schon in meinem Auto, legte Glenn Gould DAS WOHLTEMPERIERTE KLAVIER auf und gondelte durch die wunderbare Landschaft (das schönste Bild des Tages) mit tiefroter Abendsonne, gläsern grünem weiten Horizont und dünnem Nebel (Frühjahr ist im Norden ein bißchen Herbst) nach Hause.
    1. Mai
    Gestern Abendessen mit Hochhuth, der – ganz der große Schriftsteller – in den REICHSHOF «bat»: anders als sonst, recht elegant in grauem Anzug mit ordentlicher Krawatte, dick Trinkgelder verteilend, Champagner bestellend und dort offenbar seit Tagen «seine Leute» abfütternd; z. B. «meine Mädchen» – das sind die Sekretärinnen des Theaterverlags usw.; sitzt in einer Loge und arbeitet mit Heepe den ganzen Tag am Manuskript des neuen Stücks für Peymann, residiert, Herr Hochhuth hinten und vorne, und ist GÄNZLICH unberührt von den Verrissen.
    Ein eher unlebendiger Abend – außer einem kleinen Streit über seine fürchterliche Jünger-Verehrung. Sagte ihm, er sei ein «Kopf-Homosexueller», sein Auf-dem-Bauch-Liegen vor «großen Männern» – ob nun Churchill und Hemingway in der Literatur oder Ledig und Jünger und Golo Mann unter den Lebenden – sei deutlich ein Ersatz für nie angefaßte Schwänze. War sehr betroffen, will «darüber nachdenken». Wozu?
    Kampen, den 6. Mai
    In halbnarkotischer Erschöpfung vom Beenden des Tucholsky-Buches. Hat mich «alle» gemacht wie selten etwas – liege hier (bei strahlendstem Nordseewetter, Sturm, Sonne, schon warm) nur in Decken gehüllt und schlafe wie betäubt. Husten, Schnupfen, Schwindel – krank von dem Buch.
    Hotel Kempinski, Berlin, den 14. Mai
    Botho Strauß’ «Besucher» ein raffiniert angerichtetes NICHTS, ein Soufflé der Pointen und des Schauspieler-«Zuckers»; mit der köstlichen Doppelpointe, daß Bennent oben auf der Bühne Minetti karikierte (und auf dessen unrühmliche Bereitwilligkeit, das Naziregime zu schmücken, anspielte) – – – – und der 2 Reihen hinter mir saß. Und laut lachte und applaudierte. Ansonsten: reiner Cami .
    Das alles im schönen Hebbel-Theater, von wo ich durch die Trümmer Berlins 1948 nach der

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