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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Sartre-Fliegen-Premiere nach Hause ging durch Dreck und Dunkelheit – worüber (die Diskussion, nicht die Denunziation: Sartre, Harich, Fehling, die Gorvin) ich seinerzeit atemlos in meiner Abitur-Klasse referierte. Schließt sich ein (Lebens-)Kreis? Dann ja etwas früh.
    18. Mai
    Bizarre und typische Reaktion von Wunderlich: auf die Pressemeldung hin, der Senat richte Janssen ein Museum ein – was ihn, dem man keins einrichtet und ungerechterweise ja in dieser Stadt so wenig achtet, daß selbst sein schönes Runge-Bild in der Kunsthalle im Depot schmort – kränken muß. Aber er sagt lächelnd darauf: «Das habe ICH ja für Janssen arrangiert, an dem Abend bei Ihnen, mit Spielmann.» Tatsächlich HAT er an dem Abend mit Spielmann über eine mögliche und nötige Ehrung für Janssen geredet, eine Ehrenbürgerschaft oder dergleichen (und Spielmann hat auch prompt nächsten Tags an den Bürgermeister geschrieben) – aber von einem MUSEUM war natürlich nicht die Rede (und könnte wenige Tage nach so einem Gespräch auch garnicht realisiert, nicht mal projektiert sein, schon mit dem Haus benannt. Es ist Wunderlichs lebenserhaltende Form, Störungen abzuweisen respektive einzupuppen).
    Im STERN irgendein Bla-Bla über/mit Rezzori. Putzig daran, daß er «diesen, äh, wie heißt er noch – ja, richtig – Raddatz» beschuldigt, ihn seinerzeit aus dem Rowohlt-Verlag quasi verdrängt zu haben. Die Wahrheit ist, daß er unter Ledigs «Hoheit» stand, ich nie etwas mit ihm – also auch nicht gegen ihn – zu tun hatte, weder seine Manuskripte las noch seine Konten kontrollierte; mich lediglich an den permanenten Schock des Buchhalters erinnere, wenn ständig Rechnungen aus dem VIER JAHRESZEITEN oder aus anderen Luxusetablissements kamen, die Rezzori mit balkanischer Selbstverständlichkeit an den Verlag gehen ließ – der sie «zähneknirschend» beglich. Ich fand ihn immer einen amüsanten, gut gekleideten Hochstapler – in die Sparte Literatur habe ich ihn nie einrangiert, eher in die Sparte Herrenoberbekleidung. All das waren ja damals für den jungen FJR Saurier, MEINE Literatur – respektive die, die ich zu fördern suchte – hieß ja Enzensberger und Jürgen Becker und Fichte und Rühmkorf und Kempowski und Elsner. Unvergeßlich ein Nachmittag in meinem kleinen Büro, wo wie stampfende und dröhnende Rosse solche Urviecher wie Marek, Salomon (und noch einer, dessen Namen ich vergessen habe, eine Art Kommunist; hieß er Schlesinger?) herumröhrten, Schnaps tranken und dicke Zigarren rauchten – und sich leise die Tür öffnete und 3 blasse, dünne, unscheinbare Herren diesen Zoo betraten: Enzensberger, Jürgen Becker und Fichte. Die «Ablösung».
    20. Mai
    Mein «Lebensmotto»: fällt auf den Rücken im GRASE und bricht sich die NASE – bewahrheitet sich immer wieder aufs Schönste. Bis ins Detail – es ist zum Lachen (Weinen): Nun erscheint in Paris, immerhin in einer der führenden Zeitungen der Welt – Le Monde –, nicht nur ein großer und offenbar nicht ganz schlechter Aufsatz von mir, sondern auch in dieser der deutschen Gegenwartsliteratur gewidmeten Sondernummer etwas ÜBER mich – vorgestellt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Deutschlands – und DIESE NUMMER VON LE MONDE WIRD NACH DEUTSCHLAND NICHT AUSGELIEFERT! Streik. Es wäre so lustig gewesen – da Le Monde hier ja ohnehin nur von den «Kadern» gelesen wird, hätten’s eben alle meine Feinde gelesen. GEGEN mich allemal – das kann man ja jede Woche irgendwo haben. FÜR mich – wird bestreikt.
    Mai
    Skurrile Tage, weil einerseits leer vom Tucholsky-Buch, das in mir nachglimmt, von dem ich von Stunde zu Stunde wechselnd finde, es sei gut oder schlecht und bei dessen Abschluß ich diese jungmädchenhafte, leicht alberne Eintragung von mir fand, die ich vor fast genau 30 Jahren in ein altes Tucholsky-Buch machte, 12. 9. 59 (!): «In tiefer Nacht, nach einem schrecklichen (und zugleich schönen) Tag zeigt sich mir wieder, wie mich jedes Wort von Tucholsky angreift, auch jedes – noch so falsche – Wort über ihn. Er ist ich. Es gibt niemanden, mit dem ich mich so tief identifiziere, auch in den Fehlern charakterlicher oder geistiger Art. Menschenverachtung aus Menschenliebe – ein gutes Wort. Ich wünsche so brennend, ein zweiter Tucholsky zu werden. Das ist ganz uneitel gesagt, eher missionarisch.»
    Rührend – und ernst.
    Vorgestern Abendessen mit Bissinger. Er erzählte u. a. von Kuby, inzwischen 79, der keinen

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