Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
zugleich fremd-unangenehm, wenn man so über ihn schreibt.
Lebende zuhauf: dieser Tage die ganz verlogene Dönhoff in einem TV-Gespräch, in dem – unwidersprochen, nicht mal eingeschränkt – von ihrem Widerstand gesprochen wird. Ekelhaft, wie sich die Leute ihre eigenen Lügen – im Bleylekleid mit Perlenkette – glauben und man sie ihnen, sind sie Gräfin und per Rappe geflüchtet, glaubt.
Fichte im Testament über seine 3 bestellten Nachlaßverwalter: «ein nettes Kleeblatt»!
Im Flugzeug Frankfurt/Straßburg nach Hamburg, am 24. April
«Dichterlesung» und Vortrag in Schiltigheim bei Straßburg mit Adolf Muschg, mit dem schon von Hamburg aus zum Abendessen verabredet. Jedoch: Er las und las und las UND diskutierte in seiner «zu kleinen» Eitelkeit vor 12 Leuten derart endlos, war auch durch Gähnen nicht zu bremsen, daß ich 3 x im Restaurant anrief, den Tisch konfirmieren, verlängern, neu erbitten mußte; als wir schließlich anlangten, war die Küche zu, das Essen kalt, der Wein warm – – – gute Gelegenheit für Muschg, weiterzureden, ohn’ Unterlaß (ich bin sozusagen «anspruchsvoller eitel», lese in so einem Fall dann wirklich nur kurz); Muschg sprach NUR von sich, von seinem kleinen privaten Scheißkram, der neuen Japanerin, mit der er lebt, deren Kindern. Was geht mich das an? Ich esse doch nicht mit einem Schriftsteller, um über Windeln und Einbauschränke zu reden.
Aber über Arbeit, nicht mal SEINE, geschweige denn meine: sprach er nicht. Zeitungen liest er nicht. Schreibt an diesem 1800 Seiten arg geschmückten Parzivalroman mit Rüstungen, Flackerkerzen und scheppernden Schwertern; offenbar ein falscher Eco.
29. April (Kempowskis 60.!!)
Heute abend also Eröffnungsrede für/in Nannens neuem Museum in Emden. Statt bei Kempowskis Geburtstagsfeier. Hm.
30. April
Nannen und sein Emden; oder Emden und sein Nannen: grob, laut, kunstunsinnig. Bei schönem Museumsbau, mit einigen auch schönen Bildern; obwohl: zumeist 2. und 3. Qualität, kaum ein SPITZENBILD. Und: NUR diese deutsche Kunst, der ewige Nolde, der ewige Barlach, dazwischen eben diese Modersohns und noch Namenloseren – Altmeppen und Scharl und Segal, und WENN eine Beckmann-Quappi, dann eben doch nicht DIE Quappi: Das alles hat etwas seltsam Schweres, gar Unkünstlerisches; es ist ohne Raffinement. Deshalb wohl auch (nicht WEIL!) kein Max Ernst oder Magritte oder Dalí, nicht mal Oelze – das Raffinierte in der Kunst liegt/lag diesem Mann nicht. Er hat eben doch einen «Musikdampfer» gesteuert, in gewisser Weise hängt da der STERN – auf den er allen Ernstes stolz ist … – noch einmal an den Wänden; es hat etwas Brüllendes.
Ich glaube ihm auch nicht die «Liebe zu den Bildern» (über die ich auch noch sprach – WÄHREND ich die Geschichte von Walter Benjamin, seinem Klee-Bild und dem daraus gefilterten Konzept der Geschichte als Katastrophe redete, SPÜRTE ich, wie weder er noch das Publikum verstanden, wovon ich sprach). Nannen führte mich zwar durch das Museum – aber erzählte ausschließlich, wie günstig er dieses Bild und wie teuer jenes erworben habe, bei wem und durch wen und wie teuer das JETZT sei, erzählte unentwegt dieselben Geschichten, die er mir schon zuvor beim spießigen Kaffee und Kuchen und davor am Telefon erzählt hatte, wie ein bestimmtes Bild in 6 Wochen das Wievielfache erbracht habe, wie sein Sohn auf sein Erbe verzichtet und ihm sogar noch ein Bild geschenkt habe, daß das Museum 6,5 und alles zusammen 13,8 Millionen gekostet habe. Dreizehnkommaacht war ohnehin jedes dreizehnkommaachte Wort; wieso er nicht 13 oder 14 sagt? Und die halbe Million vom STERN zu seinem Geburtstag und der Ankauf des Nebenhauses durch Gruner & Jahr und der Dienstmercedes auf Lebenszeit – vor lauter schwitzender Selbstgefälligkeit und Sich-in-Scene-Setzen kam er natürlich nicht dazu, auch nur das eine Wort «Danke» zu sagen. Er hat sowieso keine Ahnung, wer ich eigentlich bin, hat nie was von mir gelesen, zeigt aber wie der kleinste Mallorca-Reisende ein Fotoalbum herum, wie er mit dem «Henri-Nannen-Stern-Kunstexpress» (schauerlicher Gedanke: 4 Stunden Paris, 3 Stunden Florenz …) durch Europa flitzte – eben eine Illustrierten-Idee. Der ganze Mann ist der STERN, IST eine Illustrierte.
So ist auch das buchstäblich grauenhafte Haus, in dem er wohnt, das er sich – schön an einer der Grachten gelegen, mit dem herrlichen weiten Horizont dieser Landschaft – selber gebaut hat und mir, dem
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