Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
und gelegentlich mal auffallende Artikelchen schreibt?
Apropos Artikel: Das Echo auf den letzten in Sachen Müller/Wolf gibt viele Rätsel und Fragen auf:
1.
Niemand mag die Wolf verteidigen, sie ist als «die große Sentimentale» und auch doch als «Staatsdichterin» unbeliebt; natürlich vor allem bei Frauen – Monika Maron z. B., die ich gestern in dem (übrigens sehr schönen, Beethoven-Sonaten mit mozartscher Heiterkeit vorgetragenen) Brendel-Konzert traf, sprach direkt haßverzerrt über sie – – – und nahm Müller aus. Das ist
2.
seltsam: Müller «durfte», ihm nimmt man eigentlich nichts übel, er sei eben immer Zyniker gewesen, habe doch stets gesagt, er spräche mit allen, hätte auch mit Hitler und Stalin gesprochen. Diesen albern-gefälschten «Material»-Begriff des Schriftstellers läßt man IHM durchgehen – vor allem Frauen; denn
3.
die leserbriefschreibenden Frauen sind besonders unangenehm, schrill in der Tonlage: «in stolzer Trauer». Frauen wollen immer bewundern, zerren das Objekt ihrer Hingabe (und Hysterie?) an ihren Busen und beschützen es vorm bösen Feind. Sie würden ja auch ihren Sohn verteidigen, wäre er ein Mörder – sie schmückten gar, war er als Mörder-Soldat eingezogen, seine Flinte mit Blumen.
4.
Radikal sein in Deutschland ist schwierig bis unmöglich. Jetzt herrscht fast dasselbe Geschrei wie damals bei meinem Artikel über die deutschen Dichter, die bei den Nazis mitmachten (von ferne ein ähnliches Thema): «Wir wollen uns unsere Helden nicht kaputtmachen lassen» (d. h., wir wollen nicht denken lernen – das tut nämlich weh). Und vor allem jene Linken, die Gründgens oder Furtwängler (die ja nicht mit der GESTAPO paktierten, sondern ihre das Grauen dekorierende Kunst machten) nicht genug verurteilen konnten, können jetzt nicht genug «unseren Heiner» verteidigen. BEIDES zu verurteilen – wie ich – ist ein Störfall.
Maritim Hotel, Bonn, den 6. Februar
Lebensbizarrerie: auf dem Wege nach Venedig, um dort den 10. (!) Jahrestag mit Gerd zu begehen – in Bonn. Glücklicherweise fand ich die Stadt mit Superkunsthalle und Maritim-Hotel so total verändert, daß ich nichts mehr von Bernd erschnupperte. Der «Auftritt» grotesk: Hochhuth stürmt – im selben Moment wie ich eingetroffen – in die Hotelhalle und plappert interpunktionslos durcheinander: «Hier gibt’s keine Treppen ich verbiete mein Stück haben Sie schon mal ein Gebäude ohne Treppen gesehen die Schleef-Inscenierung ist eine Katastrophe neulich ist der Lift hier steckengeblieben haben Sie (zur Concierge) notiert daß das ZDF (es war der WDR!) die Rechnung übernimmt kennen Sie in Salzburg … ich muß noch ein Fax mit Korrekturen nach Berlin durchgeben.» Sprach’s und verschwand ohne Antwort auf meine Frage: «Wollen wir vor der Sendung noch einen Kaffee an der Bar trinken?» Er ist – gut für ihn, weil unverletzbar? – innen ganz «zu»; hält meine Teilnahme an so einer Sendung für eine Huldigung, wehrt Kritik mit militant-feistem Lachen ab und ist selbstsicher wie die Siegessäule. Auch beneidenswert – verglichen mit meiner nägelkauenden Nervosität (die Radisch wollte schlicht nicht glauben, daß ich schon genauso alt bin wie Hochhuth – muß kein nur gutes Zeichen sein …).
Die Schlacht um meinen Müller/Wolf-Artikel tobt, fast wie weiland zum Dossier «Wir werden weitermarschieren …» Allenthalben Glossen irgendwelcher Kürzel-Journalisten, die sich einschießen auf die Verteidigung des «unversehrbaren Werks» von Autoren, die eventuell «gefehlt» haben. Stimmt das? Ist das Werk wirklich ganz unabhängig von der eventuellen Versehrtheit des Urhebers? Stimmt das heutige SZ-Beispiel Richard Strauss’, wobei putzig, daß – um dem «Kollegen» FJR eins auszuwischen – jedes Mittel recht ist: «FJR doziert mit Thomas Mann …»; aber ich habe Thomas Manns Sittlichkeitspostulat (in) der Kunst zitiert. Also doziert Thomas Mann?! Brrr.
Hôtel La Fenice et des Artistes, Venedig, den 10. Februar
Eigentlich zaubrische Tage, in denen die filigrane Schönheit Venedigs mich wieder vollkommen in ihren Bann schlug – im grünen Guardi-Licht lag die Stadt, schon warm-sonnig, fast leer, die ersten Masken huschten durch die Arkaden, noch der kleinste Tante-Emma-Laden witzig und charmant, geschweige denn die vornehmen Geschäfte, deren eigentlich simple Auslagen (Stoffe, schön bezogenes Papier, Leder) eben anders sind als bei uns – nicht protzig, sondern von raffinierter
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