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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Fisch»-Goldarmbanduhr («Was kost’ der Fisch?» sagten in Berlin die neureichen Jüdinnen, um auf dem Markt ihre dicken Ringe dem Fischhändler vorzuprotzen) – die hatte ich ja mal in Ostberlin auf dem Schwarzmarkt gekauft, um bei einer eventuell sehr plötzlich notwendig werdenden Flucht einen Wertgegenstand bei mir zu haben, der mir das Ticket in den Westen und die ersten Wochen dort finanzieren sollte. Ich erhielt DM 150!
    Beeindruckendes Interview von Christa Wolf mit Gaus: Sie hat mich berührt, scheint mir ehrlich und erzählt von den Krümmungen ihrer Lebensbahn mit Anstand und ohne Fehl. Oder berührt sie nur meine sentimentale Ecke (die mich auch ihre Bücher schätzen läßt)?
    Hotel Kempinski, Berlin, den 5. März
    Mitternächtlich-einsam im Hotel nach Bundespräsidentengala: meinem Affen Eitelkeit reichlich Zucker gegeben – ob Geplauder mit Otto Sander, Minetti, Kultus- und Bausenator, mit Star-Gast Brandauer (glatt-weanerisch) oder dem Hausherrn, der mich «prominent» begrüßte. Was für ein tiefer Minderwertigkeitskomplex muß in mir sitzen, daß ich geschmeichelt selbstbestätigt davon bin, daß – von Talk-Show-Böhme bis zum alten Berggruen – alle «Guten Abend, Herr Raddatz» sagen. Das kleine Nachkriegsfritzchen ist «berühmt» – einerseits: Ja, es ist meine Leistung, ich hab’s ja durch mein Schreiben geschafft, daß jeder mich kennt, ich habe mich «durchgesetzt». Andererseits: Was gehen mich diese Leute an, ich sehe während der Unterhaltung auf die Uhr, sie amüsieren mich nicht, sind mir gleichgültig. Früher hätte ich wenigstens jetzt, Mitternacht, die Lederjacke angezogen und hätte was «erlebt» – heute interessiert mich auch das nicht, bin nicht mal mehr zu der Kneipenverabredung mit Irene Dische gegangen, habe z. B. Brasch nicht angerufen, will meine Ruhe haben, ins Bett, weil ich sonst morgen früh Kopfweh hätte. Eine lächerliche «öffentliche Person», die die Öffentlichkeit scheut, gar flieht, und zugleich in einer Art Ghetto-Komplex zu ihr gehören will. So laufe ich – wie gestern abend bei Monika Maron (noch dazu schlechtes Essen!) – hin, um wegzulaufen – und in dieser albernen Luxus-Suite Affenthaler Burgunder aus der Minibar zu trinken. Ich registriere die Affigkeiten dieser Leute – Otto Sander erzählt beim Warten aufs Taxi als erstes, daß er ja auch schon mal vor dem Bundespräsidenten gelesen habe, und will mit dem Ruf «Ich bin eine Berliner Institution» mein Taxi schnappen (das ich dann mit dem Satz «Ich bin eine internationale Institution» nahm) – und bin doch nicht besser, nicht anders als die; die ich scheußlich finde. Der Mann ohne Mitte.
    Lustiger und nicht-lustiger Nachtrag: Schauspieler unter sich – Minetti lobt den Brandauer: «Ich finde sein Lispeln so besonders charmant, obwohl, eigentlich …» (doch sehr störend, wollte er sagen). Nur: Brandauer lispelt garnicht. Otto Sander: «Sehr gut, sehr witzig, nur – ich mag diesen Wiener Schmäh nicht, mich macht das nervös.»
    Zusammen, als wir auf die Taxen am Schloßausgang warteten, fielen sie über einen sehr bossig aussehenden Mann mit Dame im Pelz her, der in seine wartende Limousine stieg; ein großer Produzent irgendwelcher TVserien – sie verachteten ihn aus tiefster Künstlerseele. Heute im Flugzeug zurück nach Hamburg – Hark Bohm, um eben diesen Mann herumscharwenzelnd, ihm ein Script «überreichend» und noch im Airportbus erläuternd. Der Filmboß, ein Klischee wie aus einer seiner Serien, in Krokoschuhen, Innenpelz, mit riesiger goldener Armbanduhr und Vuitton-Köfferchen, hörte abwesend-gelangweilt nicht hin.
    Das nicht Lustige: Ich unterhielt mich ja ziemlich (unziemlich) lange mit Weizsäcker. In Sachen Christa Wolf sagte er: «Ach, das ist doch alles 30 Jahre und mehr her – Schwamm drüber, darüber kann man doch nicht urteilen.» Der Freiherr muß es wissen. Nur erklären kann er damit z. B. nicht, wieso dann dem Stasi-Mielke wegen eines weit über 30 Jahre zurückliegenden Polizistenmordes der Prozeß gemacht wird (statt wegen der wahren Verbrechen dieses Mannes …).
    10. März
    Das gestrige Konzert hat mich besonders berührt: Sowohl Mozarts B-Dur-Konzert für Klavier wie Bruckners unvollendete Neunte (hatten sie alle Angst, eine Neunte zu vollenden?) sind ja Alters-Todeswerke. Man nennt das Jahr 1790 – sein vorletztes – einen Tiefpunkt in Mozarts Leben: kränkelnd, ständiges Kopfweh, prekäre finanzielle Situation. In Briefen hat er, glaube

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