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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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putzmunter, während mir die Augen zufielen und ich schon um 11 Uhr gefragt hatte, ob ich ein Taxi rufen solle. So ungerührt, wie er Champagner, Weißwein, Wasser, Rotwein und Calvados in sich hineinschüttete, 3 Kohlrouladen (nach 3 Heringsfilets) verschlang, so ungerührt erzählt er – als berichte er von einem Fremden – von eigenen Schicksalsschlägen: daß der Herr Naumann von Rowohlt sein neues Buch nicht verlege – er ist immerhin 30 Jahre lang Autor des Verlages und einer der renommiertesten (an dem zumal der Verlag viel Geld verdient hat) – der Herr Naumann hat «Gewissensbisse», ist in Sachen Treuhand und ganz generell politisch-moralisch anderer Ansicht …; daß Helmut Schmidt ihn bei einem Besuch am Brahmsee, zur Wiederaufnahme des STELLVERTRETERS gratulierend, ganz ahnungslos gefragt habe: «Und kriegen Sie denn was dafür?»; daß die Inscenierung dieses neuen Stücks – mit kleinen Kleist-Einlagen; der hatte ja mit Weimar nun wahrlich nix zu tun – «ganz fürchterlich» würde; daß er selbstverständlich neben seiner neuen Dame – «Eigentlich ist sie ja ein Mann», erkennt er selber genau, «aber sie kocht sehr gut» – eine andere, jüngere habe, worüber die andere («die Euler») verdrießlich sei: «Sie ist natürlich sehr eifersüchtig, aber ich habe es ihr von Anfang an gesagt und sage es ihr auch weiterhin, daß die Dame mich manchmal auch in Berlin besucht.»
    ICH war nicht nur «eifersüchtig» auf die Kraft, mit der er, gleichaltrig, derlei noch «bewältigt», sondern auch baff über die kühl registrierende Gelassenheit: Ist das die – beobachtende – Qualität des Dramatikers?
    Im übrigen habe ich an ihm bemerkt, was mich ja an mir selber so stört – er interessiert sich in Wahrheit für nix mehr, nicht Jugoslawien, nicht Irak/USA, nicht Somalia, nicht Ost-West: Er interessiert sich FÜR sich und für sein Geld – um das er einerseits barmt, andererseits nicht sehr besorgt ist (was dafür spricht, daß er genug hat), obwohl er Häuser, Aktienpakete, Tankstellen und Bargeld an seine Ex-Frauen und die drei Söhne verteilt hat.
    25. Januar
    Psychisch ungesunde Arbeit: Ich tauche zu sehr und zu tief in meine Vergangenheit ein. Das Schreiben des Artikels über meine STASI-Akte (bei zweiter Lektüre dann doch nicht nur komisch); das Peu-à-peu-Sichten des Materials für Marbach (die Stützner und eine Hilfskraft ordnen «mein Leben» nun volle Pulle und entdecken in alten Leitzordnern wahre Schätze); das Auffinden alter Briefe und Briefwechsel, ob der rührendsten von Jochen, der quälendst-ausführlichen (Hunderte!) mit Arendt oder der endlosen, geradezu existentiellen mit Mary Tucholsky: Es ist eine Achterbahnfahrt in mein vergangenes Leben. Dabei erschreckend, wie oft der junge Mann schon über «müde, am Ende, kann nicht mehr, nervlich überlastet, Lebensverdruß und viel zuviel Arbeit» klagt. Habe ich mein ganzes Leben «versungen und vertan», und das Resultat sind diese Briefe, darein ist es geronnen? Allein die vielen Mary-Leitzordner, der Kampf (gegen Rowohlt, anfangs gegen Kindler, der meine Herausgeber-Tätigkeit nicht gestatten wollte – «dem Herrn Raddatz» –) bergen ein Stück Literaturgeschichte; und meine große Bindung an Mary, letztlich wohl eine regelrechte Liebe, ersteht aus diesen z. T. durchaus zänkischen Briefen. Eine Geschichte für sich – und zugleich (wenn ich in anderen ihrer Hinterlassenschaften lese) auch eine Geschichte des Erschreckens: wenn ich eine lachende, offenbar glückliche junge Frau in flotten Cabriolets IM JAHRE 1934 sehe – – – 1 Jahr vor Tucholskys Tod, und wenn ich «Geschäftsbriefe» (es ging ihr als Geliebte des Firmeninhabers, für den sie auch Prokura hatte, SEHR gut) mit «Heil Hitler» unterzeichnet finde. Gleich nach dem Krieg aber «Witwe des antifaschistischen deutschen Schriftstellers …» und Propuske der sowjetischen Militäradministratur, Kulturbundausweise und Namenswechsel. Ach ja.
    3. Februar
    Ich bin eine lächerliche Figur – ich führe ein Proust-Leben, Frühstück unter dem OrchideenBAUM bei Mozartmusik, und alles rieselt vor Samt und Cashmere und weißer Seide, selbst meine Morgengymnastik mache ich auf einer Cashmeredecke über einem schwellend-dicken Teppich – – – und heraus kommt nur Unbeträchtliches. Man DARF so leben, wenn die Produktion es rechtfertigt – – – aber darf man den 12-Zylinder-Jaguar in der geheizten Garage «scharren» haben, wenn man unbeträchtliche Büchlein

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