Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
schlechtem Hotel (an der Karibik) und schlechtem Essen (hier) – zu sehen ist schier garnichts –, Affen kann ich auch bei Hagenbeck sehen, und um einen Papagei kreischen zu hören oder an vergammelten Bananenplantagen entlangzurumpeln, muß ich nicht 10.000 Dollar ausgeben; und mich vom Aufstehen bis zum Zubettgehen mit «Ich setze besser meinen Hut auf», «Wie, findest du, stehen mir diese Ohrringe?» oder «Papas Freunde hießen Killewald, die eine Tochter war häßlich» nerven lassen. Mich interessiert weder diese mickrige Exotik hier, noch daß «Daniel mein Auto benutzt und kein Benzin nachgefüllt hat».
Fazit: Ich muß Egoismus wie eine Fremdsprache lernen, diese letzten paar Jahre meines Lebens mich auf meine Arbeit konzentrieren; mich abkapseln gegen all diesen kindlichen Nuckel-Flaschen-Egozentrismus meiner Umgebung.
Nette Vorausbilanz eines Jahres. Interessante (und hochmütige) Traum-«Tröstung» für den Nicht-Respekt, das Nicht-Interesse – an meiner Arbeit – auf dieser Reise:
Traum I: Hans Mayer – einen «demütigen» Zettel mitten während eines Vortrags vom Podium reichend, bittet um Versöhnung und Entschuldigung.
II: Ernst Bloch, an einer Straßenbahnhaltestelle, mit einem Einkaufsnetz voller Manuskripte stehend und ein eigenes Buch lesend, gratuliert mir zu einem Aufsatz und lädt mich zu sich nach Hause, um darüber zu diskutieren.
III: Willy Brandt, schon zerfurcht-krank, bittet mich – «obwohl Ihre große Rede neulich blaß war» (ist das die Grass-Rede in Hamburg?) – in die Leitung der Partei (oder in die Regierung?): «Ohne Leute wie Sie geht es nicht.» Peinlich-lächerliche Revanche des Unterbewußtseins!
17. Januar
Mit sonderbarer Entfernung hat mich der Tod von Nurejew berührt. Es muß 30 Jahre her sein, daß ich ihn in Amsterdam in einer schwulen Kneipe kennenlernte, ein interessant-knäbischer Mann, der MICH ansprach. Unvergeßlich die kleine Scene, wie er auf mein «Where are you from?» antwortete: «Russia» und ich daraufhin lachte: «Sehr witzig» – weil ich das nicht glaubte (ihn ja auch weder kannte, noch also «erkannte»). Es war dann – falls es «elegant» im Bett gibt – eine elegante Nacht in seinem Hotel, in dem zu meinem Erstaunen dieser junge Mann eine Luxussuite bewohnte, vollgestopft mit Orchideenkörben, Konfekt- und Obstschalen und – als Ouvertüre – teuerstem Champagner. Erst als er mir gegen Morgen eine Theaterkarte schenkte und sagte: «Komm doch abends ins Theater», dämmerte mir etwas; bislang waren wir ja «Fritz und Rudolf» gewesen (und ich hatte mich an seinem wahrlich makellosen Körper delektiert wie an einer köstlichen Speise – es war, ohne Zärtlichkeit, Sex pur, aber voller Grazie …). Wirklich hingerissen war ich dann erst abends im Ballett, es schien, als sei DAS seine wahre Erotik, das «andre» eine Art mindere Akrobatik, ein körperlicher Vorgang wie Essen und Trinken, kultiviert, aber unbeteiligt. Seine Seele war im Tanz.
Peinlicher ein anderer Rudolf: Augstein ist ertappt, als junger Mann im VÖLKISCHEN BEOBACHTER geschrieben zu haben; d. h. nicht FÜR den VB, sondern für irgendwelche Provinzzeitungen. Angeblich hat ohne sein Wissen (Höfer klopft an die Tür …!) eine Agentur den/die Artikel dann an den VB weiterverkauft. Daran ist nicht interessant, ob DAS stimmt, sondern: Der Mann wollte «ran», coûte que coûte , er wollte Karriere machen, auch unter den Nazis – und zwar nicht als Antiquar, Kofferträger oder Leihbibliotheksbesitzer, sondern ALS SCHREIBER. Genau, wie er Leutnant war. Wer Leutnant war (darum mußte man sich ja bewerben), wollte eigentlich General werden. Und wer kleine «unpolitische» Feuilletons schrieb, wollte «Hauptschriftleiter» werden. Was er auch – ein Gründgens für kleine Leute – geworden wäre. Er hat als junger Mann ein winziges Rädchen mit-bedient und hätte, nach einem Sieg Hitlers, das ganz große Rad gedreht. Ebenso peinlich-unwägbar nun die «Enthüllungen» über Heiner Müllers Stasi-Verbindungen, bei denen das Unangenehmste seine gewundenen, kleinkarierten Erklärungen sind, in denen er – ausgerechnet ER, der doch jahrelang die Rolle des großen Zynischen spielen wollte – sich naiv nennt. Naiv auf Heiner Müller: ein Schimpfwort. Es ist die Augstein-Medaille, umgedreht; aber dieselbe (falsche) Münze.
20. Januar
Vorgestern abend (zu) langer Besuch von Hochhuth; schon das verstörend – noch um Mitternacht –: «Haben Sie noch einen Cognac?» –
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