Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
ihre, die Soziales, Politisches einbeziehen will, die «den weißen Kubus» – also das NUR-Bild – ablehnt. OBWOHL ich meine Position HABE, stellte ich die in Frage – was Grass geradezu unwirsch (die der David meinend) mit dem Wort «Unsinn, dummes Zeug» abwehrt. Einem auch nur möglichen Gegengedanken verweigert er sich.
So, was meine Jahre nach der Feuilletonchefzeit ausmacht: ER weiß genau, daß es falsch war, bei der ZEIT zu bleiben (hätte ER mich ernährt?), daß ich «ein anderes Feuilleton» hätte machen MÜSSEN (aber welches und bei wem?), daß ich – fast ein Kompliment – das heute noch könne, nachdenklich stimmend daran nur: Bin ich wirklich eine lächerliche Figur, ein alberner has-been in dieser Redaktion, bilde ich mir lediglich in meiner scheußlichen Eitelkeit ein, dort erwünscht, gefragt, gebraucht zu sein? (Aber: Wieso dann der «Antrittsbesuch» vorgestern von Roger de Weck, wieso dann die Bitten diverser Redakteure, bei fälligen Vollversammlungen dabei zu sein, wieso dann immer wieder dieses «Was sagt FJR, da hat FJR gefehlt»? Schwer, das selber zu bestimmen, den eigenen Ort.)
Wie ein PS zu alldem gestern abend das Gastspiel des «Berliner Ensembles» mit ARTURO UI und dem schlechterdings genialen Wuttke. Aber: Nicht nur ist das Stück – von Brecht selber wohlweislich nie insceniert – dramaturgisch schwach; es verrät auch den Greuel an die Albernheit, es lächert die Scheußlichkeit weg. Meines Erachtens gibt es halt Themen, die sich dem Schwank verweigern. «Man kann über alles lachen»? Dies Wort war VOR Auschwitz gesagt. Fazit: Vom berühmten «Stückeschreiber» bleibt wenig, er war zu journalistisch, zu dicht am Wirklichen dran. Ein großes Thema: von Géricault über David, von Voltaire bis Peter Weiss: Distanzlosigkeit zur Wirklichkeit entleert die Kunst ihrer Wahrheit. Beckett ist wahrer. Nur das Existentielle zählt. DA liegt auch die Versehrung, die Grass sich und seinem Werk zugefügt hat.
23. Mai
Herrlich-absurder Abend für den 70jährigen Monk, der der Jüngste der Versammlung zu sein schien: Noch nie je habe ich an einer Beerdigung teilgenommen, bei der ALLE ANWESENDEN tot sind; je reger sie redeten, je törichter waren sie: Der einladende NDR-Intendant, offenbar schon 1000 Jahre einbalsamiert, sprach kaum von Monk, dafür um so ausführlicher von sich, vom NDR und dessen Nöten und von den «Massen», die es zu bedienen gelte. Das nennt man dann wohl Kulturauftrag des Rundfunks.
Monks endlose und vor Alterserschöpfung flüsternd leise gehaltene Rede hüpfte von Anekdote zu Anekdote in Kegelvereinsdramaturgie: «Und weißt du noch, Franz, als wir …», «Und da denke ich, wie Hans und ich …»; so zu möglichst vielen der Anwesenden, wobei spürbar die Schul-Angst umging, etwa NICHT aufgerufen zu werden. Ich hatte Glück und kam – im Gegensatz zum darob deutlich verärgerten Grass – «dran», allerdings mit einer Anekdote, die nicht wahr sein kann. ICH jedenfalls erinnere mich nicht: Ich hätte, hoch oben auf den Stufen des DEUTSCHEN THEATERS in Ostberlin, die zur Beerdigung Brechts 1956 herbeigeeilten Monk und Hubalek (DDR-Flüchtling Monk mit einem Einladungstelegramm Bechers in der Tasche; schon das unwahrscheinlich) «königlich» mit einem «Da seid ihr ja» begrüßt. Ich halte das für genauso erfunden wie die Geschichte, die mir Schirrmacher neulich abend referierte – er habe irgendwo den Bericht gefunden, wie ich Bernhard besucht habe und mit meinem Porsche fast ins Wohnzimmer gedonnert sei. Wahr daran ist nur der Porsche (der ja offenbar, er kommt als «anrüchig» auch bei Kempowski vor, ein besonderes Metall des Anstoßes gewesen sein muß). Bernhard habe ich aber NIE besucht.
So war es ein hübsches Intrigenkabinett, in dem als schwules Webschiffchen der Herr Königstein hin- und herflitzte und Sottisen über jeden der Anwesenden absonderte, über Käthe Reichel: «Schon immer eine dumme Gans und schlechte Schauspielerin» (wobei ihm nicht mal mein sehr viel schärferes «die Ilse Ritter der DDR» einfiel). Oder der Herr Meichsner, wohl der eigentliche und ja auch namhafte, nun Ex-Nachfolger von Monk, der über JEDEN der anwesenden Funkintendanten-Redakteure-Kommentatoren herfiel, stolz verkündete, daß er nun nach 44 Jahren seinen 2. Roman fertig habe – und über den wiederum hinter kaum vorgehaltener Hand alle anderen Funkleute lästerten, er sei ein «Publikumsertränker» und «Quotenkiller», so ziemlich 2 Minuten bevor er
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