Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
So ist’s nur eine amüsante Geste.
Der Abend, unter den immer wieder erstaunlichen Vorzeichen wie «Den Wein bestellen bitte Sie – Sie verstehen mehr davon» oder «Sie haben ja eine formidable Kunstsammlung» (woher so jemand, den ich noch gar nicht kenne, so was wissen will), war jedenfalls nicht langweilig, wenn auch zu Teilen mir das Macht-Gelüste respektive Macht-Bewußtsein fremd.
26. April
Gestern abend «feine» Einladung auf Stahlstich-Carton bei dem Fernseh-Ansager Wickert, den meine Tischnachbarin für einen «mächtigen Mann» hielt, obwohl er in Wahrheit doch nur vorliest, was andere ihm auf ein Blatt Papier geschrieben haben.
Ich habe gar nichts gegen den Mann, finde ihn sogar gelegentlich ganz sympathisch – bin nur immer über eines verblüfft: Er ist so furchtbar deutsch, obwohl gerade er doch sehr viel im Ausland, noch dazu in Paris, gelebt hat. Gestern hielt er zwar keinen Vortrag, wie man Käse zu essen hat – dafür unterbrach er aber – nach der nicht sehr reichlichen Vorspeise: EINE Scheibe Lachs – das Tischgespräch; wir sollten doch nicht alle durcheinanderreden, er wolle ein THEMA vorgeben, es sei zufällig das seines neuen Buches (der Mann schreibt zwar keine BÜCHER, aber sie verkaufen sich wie rasend): Was sei das, das man «spezifisch deutsch» im Ausland nenne – – – – an Beispielen in Kunst, Literatur, Theater usw. bitte «einzureichen». Nun hätte man das Gespräch abkürzen können mit dem einen Antwort-Wort: «Sie.»
Indes saßen da aber – dies eben meine Verblüffung – «ausgewiesene» Menschen, der Intendant des Hamburger Schauspielhauses, der neue Musikdirektor der Hamburger Oper, ein großer Bertelsmann-Boß (ich glaube, er war vorher Minister oder so was), der Direktor der Deichtorhallen – – – – – und alle parierten, alle stoppten ihr Gespräch, alle waren beflissen, das Begehr des Hausherrn zu bedienen; wer nicht rechtzeitig zu Worte kam, gebärdete sich mit Fummelfingern nervös-ungeduldig: «Ich will jetzt auch mal was sagen.» Keiner dieser hochmögenden Herren – ich auch nicht! – sagte: «Lieber Herr Wickert, dürfen wir vielleicht reden, über was WIR wollen, bitte unterbrechen Sie doch nicht einfach das Tischgespräch.»
Nach einer Weile langweilte mich das doch so sehr, daß ich sofort nach dem Dessert per «french leave» verschwand. Auch nicht die besten Manieren.
29. April
Beobachtung von Gesichtern, die eben noch freundlich respektive scheiß-freundlich, lachend oder liebedienerisch – und sich jäh verzerren, wenn etwas «Unangenehmes» geschieht. Kenne das, was mich stets amüsierte, von beflissenen Antiquitäten-Händlerinnen, die einen umschwänzelten, bis das Gesicht urplötzlich geradezu wütend-bösartig wurde, wenn man sagte: «Ich möchte etwas VERkaufen» (obwohl sie ihr Zeugs ja von irgendwoher und irgendwem kriegen müssen). Die Schachtel, bei der ich jahrelang Stück für Stück für viel Geld meine Meißen-Teller kaufte, immer unter dem Motto: «Endlich habe ich wieder einen für Sie gefunden und reserviert – die sind ja so selten und SO gesucht und SO begehrt», wurde geradezu ordinär, als ich welche zurückverkaufen wollte: «Das will kein Mensch.»
So gestern vormittag, als ich einem ZEITmagazinredakteur sagen mußte, daß ich zu dem Zeitpunkt, den er für mich ausgemacht hatte, nicht nach Kassel fahren kann, um ein Interview wegen der DOCUMENTA für ihn zu machen. Er wurde in Sekundenschnelle geradezu pampig.
Noch interessanter und intensiver gestern abend. «Arbeitsessen» mit Rowohltchef Niko Hansen und seinem/meinem Anwalt Kersten wegen meiner Forderung, für Tucholsky-Bücher auch nach Ablauf des Urheberrechts 2005 Tantieme zu zahlen. Einerseits: Fordern kann ich da gar nichts, denn das Recht ist ja auf seiner Seite. Andererseits hatte er mir bei einem früheren Essen, kurz nach seinem «Amtsantritt», eine entsprechende ZUSAGE gemacht, und ich ließ ihn wissen, daß ich nicht akzeptiere, wenn so eine verbindliche Verabredung nun einseitig aufgekündigt wird; noch dazu unter dem absurden Vorwand, der Verlag zahle ja die Miete des Stiftungsbüros. Das war nämlich – von mir initiiert – ein Geschenk an Mary zu ihrem 60. Geburtstag, die Frage war damals: ein Collier, ein Max Ernst oder ein Mercedes. Hätte denn Rowohlt nun den Max Ernst zurückgefordert?
Wie immer, derlei gehört nicht hierher. Schön nur war zu sehen, wie das eben elegant-gepflegt-freundliche Gesicht vom Herrn Hansen, der
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