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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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mir sagte, was für einschmeichelnde und rückgratlose Arschlöcher SÄMTLICHE hier anwesenden Funkleute seien (er ist pensioniert). Am besten gefiel mir die Sprachschöpfung von einem Arschloch ohne Rückgrat.
    Hotel Adler Post, Schwetzingen, den 26. Mai
    Eröffnungsrede Schwetzinger Festspiele – 2 sonnige süddeutsche Tage voller Pickel: Der eine Tag, den ich mir «frei» nahm in Schwetzingen, war zwar schön, aber leer. Spaziergang durch den Schloßgarten wurde nicht als Bummel genossen, sondern löste – wie auch das Schloß – Gedanken über Macht-Herrschaft-Schönheit aus; warum ist Demokratie fast immer häßlich?
    Ähnlich der Abend. Das Henze-Ballett (3 Teile nach Cocteau, Gide usw.), mehr Kostüm-Gehopse und Zigeuner-Zirkus als strenge Choreographie, langweilte mich; ging in der 2. Pause.
    Lebens-Zittrigkeit. Unruhe, Unrast, Nervosität, auch Selbst-Vorwürfe; so geniere ich mich posthum vor Mary Tucholsky, daß ich – ab 1. 1. nun neben «Vorsitzender» auch «Geschäftsführer» – demnächst erstmals Bezüge bei der Tucholsky-Stiftung erhalten werde. Objektiv ist das albern – das Geld ist da, und sie hat ja Jahrzehnte total von diesen Einkünften gelebt; zwar ohne «Gehalt» – aber eben sämtliche Bezüge für sich in Anspruch nehmend (wenn auch, weil sie bescheiden war, nicht verbrauchend). Und ich habe genau all diese Jahre für nix gearbeitet. So was hat mit Realität also nix zu tun, es ist eine innere Disposition. Zum Nicht-Glücklichsein?
    Fast lächelnd las ich in diesem Zusammenhang im Programm-Heft ein paar Memoiren-Fetzen von Henze, wie er Anfang der 50er Jahre den sehr jungen, mageren Thomas Harlan «mit veilchenblauen Augen» kennenlernte. Doch es währte nicht, der von Neurosen geplagte schönschwänzige Nazisohn floh, ich glaube nach Israel (!). Quel vie .
    Kampen, den 16. Juni
    Heute nachmittag bißchen Herum-Lektüre in Roland Barthes. Entgeistert über seine oberflächlichen Homo-Notizen aus Marokko, pubertäre wie zierlich-geschmückte Notate über die «sanften Augen» oder auch mal die schönen Schwänze – wozu schreibt man derlei überhaupt auf? Dasselbe mit seinen Pariser Notizen aus Saunen und schwulen Bars – als Information von jedem Schwulenmagazin übertroffen, als Literatur vollkommen unerheblich, als Gedanke leer. Das war eben doch ein kleiner Mann, der ein paar Hübschigkeiten über ein Automobil oder das Gesicht der Garbo zustande gebracht hat, das er dann französisch-großmäulig «moderne Mythen» nannte: und damit durchkam.
    Kampen, den 17. Juni
    «Signierstunde» bei meinem kommunistischen Bauern, wo ich mir frischen Ziegenkäse kaufe und dessen Frau meine Bücher liest. Zur Belohnung bekam ich einen Strauß blühenden SCHNITTLAUCH geschenkt – bäuerliche Sylt-Romantik.
    23. Juni
    2 spätabendliche Videos. Der eine Film ging über den Schah-Besuch 1967 (?) – Teil auch MEINER Biographie, denn ich war es ja, der jenes rororo-aktuell-Büchlein von Bahman Nirumand (gegen allen Widerstand im Verlag) auf den Markt geschleudert hatte, das Buch, das recht eigentlich den gesamten Widerstand gegen den Schah und das Schah-Regime munitioniert hatte und zu Zigtausenden in Berlin gekauft und gelesen wurde.
    Der 2. Film über Kurt und Mary Tucholsky – wahrlich auch Teil meiner Biographie, ohne mich gäbe es ja z. B. die Briefe nicht mehr (ja, ja, GESCHRIEBEN hat sie Kurt Tucholsky, ich weiß), Mary hätte sie VERBRANNT, der Kampf um diese Zeugnisse ging Jahre. Das ist keine Biographie-Protzerei – ich schreibe es mir hier nur selber auf, um mir nur noch einmal klar zu werden, wie unendlich viel Lebensenergie ich in all das gesteckt habe, was für Kämpfe, wie viele Verletzungen, welch Temperament-Aufwand.
    PS zu den Stichworten Biographie und ehrlich: Eher possierlich, wie Martin Walser sich gelegentlich in Interviews immer auf seine Arbeit an dem seinerzeit spektakulären rororo-aktuell-Band ALTERNATIVE bezieht. Er HAT dieses Buch überhaupt nicht herausgegeben, und wäre die Rowohlt-Korrespondenz nicht verbrannt, könnte ich das BEWEISEN. Er hat ALS ERSATZMANN, auf meine Bitten hin, das Vorwort geschrieben, weil Heinrich Böll plötzlich sehr krank wurde und – denn ER war als Vorwortautor vorgesehen – nicht schreiben konnte. Walser hat sein Vorwort IN EIN EXISTIERENDES BUCH hineingeschrieben, das einzig und allein ich zusammengestellt hatte, mit SÄMTLICHEN Autoren hatte ich korrespondiert, sie zu dem Buch eingeladen, die Honorare ausgehandelt (was ja an

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