Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
sich ein «Herausgeber» tut), die Themen aufeinander abgestimmt usw.
So entstehen Lebensläufe …
24. Juni
Gestern abend zum «Süppchen» der possierliche Schult, bemerkenswerte Mischung aus grob und zart, laut und still. Begabt in jedem Fall, wenn mir auch diese «hoch-avancierte» Ästhetik etwas fremd ist, ich bin dagegen ein biederer Schuster (der nicht bei seinen Leisten bleibt). Doch er ist ein lustvoller Wortverdreher und -spieler, wirft Worte gleichsam in die Luft und läßt sie in ihren Bedeutungen wie Seifenblasen schillern – «Leichter» (das Schiff) kommt z. B. von leichten Booten, die die zu schweren vor bestimmten Häfen, deren Bassin nicht genug Tiefgang hatte, erleichterten. So ist sein ganzes neues Buch eine lustige und luftige Wortakrobatik.
25. Juni
Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht: Hochhuth kennt einen durch «Chips» (Computer, nicht Kartoffeln) reich gewordenen Menschen, Flüchtling auch noch aus irgendeinem Ost-Land, der hat seine Fabrik verkauft für 280 Millionen DM. Davon hat er 80 für sich behalten, 80 an seine Belegschaft verschenkt – und den Rest in eine «Kulturstiftung» eingebracht, die u. a. dafür zu sorgen hat, daß einmal pro Jahr – ich glaube: zum 20. Juli oder war es der 31. Januar? – sein STELLVERTRETER aufgeführt wird. Ohnehin hat sich diese Stiftung darum zu kümmern, daß Hochhuth-Stücke generell aufgeführt werden.
So jemanden habe ICH nicht. Ich pople indes statt in der Nase in meiner Biographie, ein ebenso unappetitlicher Vorgang. Gestern der 1. Teil eines Dokumentarfilms über die Schleyerentführung – gut gemacht, nicht NUR Krimi, auch mit geschichtlich-politischen Fragen, so daß wenigstens ANDEUTUNGSWEISE klar wurde, woher diese Terrorleute eigentlich ihre sogenannten «Ideen» hatten – und ich erinnerte mich: Auf dem Höhepunkt der Schleyerkrise (oder am Tiefpunkt), ich war noch gar nicht lange Feuilletonchef der ZEIT, bat ich Rudi Dutschke, Heinrich Böll und Herbert Marcuse (alle doot) um je einen Beitrag, daß sie DAS, Terror, Mord, nicht gewollt und gemeint hatten. Die Beiträge kamen – – – aber es gab einen eigentlich ganz netten, aber spießig denkenden stellvertretenden Chefredakteur (Sommer war im Urlaub), der befahl: «Das wird nicht gedruckt, in der ZEIT schreiben nicht Leute wie Dutschke und Marcuse.» Die Sache eskalierte, in den üblichen «fake-antiquities»- Formen, falsch-fein, was man in der ZEIT so für fein hält, ich ging nach Hause, trank einen Tee (!!!) und beschloß, bei Nicht-Erscheinen den nächsten Tag meinen Posten zu räumen (was DAMALS ebenfalls ein Skandal gewesen wäre), war aber ganz ruhig, hatte weder Angst um den Posten noch Sorge ums Geld – – – – – bis man aus einer UNSERER Krisensitzungen Sommer in Schweden erreichte mit dem ZEITtypischen Satz: «Ted, wir haben hier ein kleines Problem …» Sommer, natürlich, erkannte, WAS die ZEIT da in der Hand hatte, ordnete das Erscheinen der Artikel an – die prompt die Nummer 1 der Nachrichten abends waren: «In der heutigen Ausgabe der liberalen» … usw.
Die Mörder hat zwar dieser Aufruf ihrer «maître penseurs» auch nicht erreicht, d. h., hat sie nicht mehr beeinflussen können – aber eventuell ihre Nachahme-Täter.
7. Juli
Mosaiksteinchen.
Neulich in der besonders schönen Mucha-Ausstellung kleiner Wutanfall, wie schnöde man den Freund Wunderlich behandelt respektive verachtend ignoriert, weil er «Kunstgewerbe» macht: Dort nun, in einer MUSEUMSausstellung, werden prunkend REKLAMEtafeln (Lithos) für Kakao, Korsette, Nestlé oder Cigarettenpapier gezeigt. Paul HAT nicht einmal Reklame gemacht, «nur» Tische, Leuchter, Bestecke, Teller. Eines Tages wird ein Museum stolz DAS vorführen. Vielleicht hat er mit seiner Maxime «Der Ruhm kommt später, JETZT will ich das Geld» recht –.
Kürzlich Besuch «meines Archiv-Warts» aus Marbach, der klug und gebildet (übrigens in Hamburg bescheiden in einer Pension wohnend), mir abstruse Dinge erzählte: von Ernst Jünger, der als Besatzungsoffizier in Paris sich Marocainleder-Schatullen herstellen ließ – und zwar in einer Farbe, die er SO wünschte, daß sie «noch in Jahrzehnten besonders schön sei» – für seine Tagebücher. Mein Satz seinerzeit, seine Texte röchen leicht nach Sattelleder, war berechtigter, als ich damals wußte. Widerlich. 2 Straßen weiter wurden die Emigranten und Juden zusammengetrieben …
Oder: daß die Erben von Döblin, irgendwelche Urenkel, die den
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