Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
es Konsequenzen geben? Wie läppisch doch verglichen mit so einer veritablen Geschichtsfälschung mein Goethe-Ausrutscher damals, dessentwegen die einen ihrer renommiertesten Autoren «wegwarfen».
Mittwoch abend Nashs und Wunderlichs zu Gast, ein wie immer farbiger, leichter und mit gebildeten Ping-Pong-Bällen spielender Abend, an dem mir – wie so oft – angenehm auffiel, wie belesen und kultiviert der junge Joachim Helfer ist, der auf Anhieb ein Ginsberg-Gedicht auswendig wußte – so gut, wie er sich über das «Er-verschwindet-im-Weltall-Problem» des Kometen unterhalten konnte: Auf Ginsberg kam er, weil meine Platte noch herumlag – es ist eine ROTE Plastik-Schallplatte, auf der Ginsberg seine eigenen Gedichte spricht, HOWL vor allem, die ich dieser Tage, seinen Tod «begehend», mir noch einmal angehört hatte – – – dabei nicht nur wieder einmal feststellend, ein wie gutes Gedicht das ist (man kann mit EINEM Gedicht berühmt werden und überdauern!), sondern auch mich erinnernd an eine wilde 1-week-affair mit Ginsberg in New York vor vielen Jahrzehnten, da war ich noch ängstlich-verklemmt und sicher überwältigt von so viel «Freiheit», so viel ungehemmter Zärtlichkeit, so viel selbstverständlichem «Nimm meinen Schwanz in den Mund» oder «Bitte fick mich». Er war schön damals, noch schlank, hatte einen «eleganten» Schwanz und war sehr verliebt in mich – ich traute mich wohl noch nicht, verliebt zu sein, fuhr den Berg mit angezogener Handbremse rauf. Dennoch erinnere ich mich noch jetzt, wie sehr ich eintauchte in diese so freie Sexualität, «unternäht» mit kleinen Traurigkeiten und «unterfüttert» mit Bildung, von Faulkner über Kafka zu Whitman; immer, wenn wir pausierten, sprachen wir, streichelten uns mit dem Hirn. Nur störte mich seine Marihuana-Raucherei, das kannte ich nicht und wußte auch nicht, wozu man das macht – und hatte auch Angst davor.
Hotel Otto Heinrich, den 23. April
Der Hurenberuf: «Vorstellung» meines Heine-Buches vor den Vertretern des Verlags (der sich enorme Mühe gibt, Schloßrestaurant, Champagner, 4-Gänge-Diner, Opernsängerin; ach, wie schön muß es sein, ein erfolgreicher Autor zu sein …). Mußte also nett, charmant, witzig, klug sein – zu deutsch: mich anbiedern. Warum macht man das? Mein Geld habe ich ja als Vorschuß, eine darüber hinaus gehende Auflage kann ein so intellektuell angelegtes Buch nicht haben – und dennoch wippt man da mit den Hüften, plaudert mit fremden Menschen «geistreich», trinkt und raucht zuviel und ist geschmeichelt, «ein Erfolg» zu sein.
Das Ganze natürlich enorm spießig, inklusive einem klavierspielenden Verlagsbesitzer, wenn auch paar ganz clevere Vertreter, die viel gelesen, sich deswegen allerdings peinigenderweise für unsereins halten. Früher war das mit den Setzern so – bald wird es das einst so stolze Wort gar nicht mehr geben.
Hotel Intercontinental, Frankfurt, den 24. April
The day after in Frankfurt, wo ich nur Zwischenstation mache auf dem Wege nach Osnabrück zu einem (überflüssigen) Vortrag.
Ganz lustiges Abendessen mit FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der mich auf allerlei Weise verblüfft: zum einen, obwohl doch ein SEHR mächtiger Mann, noch immer verletzt (und damit rachsüchtig) über irgendeine SPIEGELniedertracht, deren Details ich längst vergessen; dem geht’s also wie mir. Schirrmacher bestätigte mir AUCH eine geradezu kategorische Abneigung Reich-Ranickis gegen mich, wie er ihn in vielen FAZ-Konferenzen erlebt habe; «Sie werden eines Tages enden wie Raddatz» habe er ihm einmal wutentbrannt entgegengeschleudert – worauf der Kunstkritiker Beaucamp gesagt haben solle: «Das wäre ja noch nicht mal das Schlechteste.»
Dies das andere Verblüffende: Für diesen – wesentlich jüngeren – Mann bin ich eine Art Denkmal, einer, «der die Bundesrepublik mit geprägt hat», einer, an dessen minimalste Artikel – wie an den über Peter-Paul Zahl – er sich erinnert, dessen Marx-Buch er gelesen hat wie vieles andere. So bestätigt sich das alte böse Wort «Man muß nur übrigbleiben» – eines Tages werden wir dann alle «Monumente». Schon jetzt kriege ich ja andauernd Briefe, Interview-Gesuche etc. im Tenor von «Sie kannten doch noch Peter Huchel» (Name auswechselbar).
Lustigerweise will Schirrmacher mich partout zur FAZ abwerben. Hübscher Gedanke. Wäre ich jünger, würde ich ihn zwingen, Ernst damit zu machen und mir die Leitung des Feuilletons anzubieten.
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