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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Namen nicht ohne amerikanischen Akzent aussprechen können und GEWISS nie eine Zeile von dem Mann gelesen haben, mehr als 30 Millionen DM für den Nachlaß verlangen.
    Marbach als Skurrilitäten-Kabinett.
    Und 2 abstruse Telefonate:
    Brasch, nach MONATEN, um sich zu erkundigen, wie man eine riesige Granitskulptur (eines Freundes, «Sie wissen ja, ich werde jetzt altersschwul») aus Israel nach Berlin transportieren könne und ob sie im Preis sinke, weil dort nicht verkauft.
    Das war’s.
    Hochhuth, dessen Assoziationssturz ja JEDEN Namen, den man in einem Gespräch erwähnt, mit Anekdoten behängt, wußte: Der Vater der Dönhoff war sehr alt, als er sie zeugte, er kannte noch Bismarck und, guter Deutscher, grüßte den nach dessen Sturz nicht mehr.
    Seine – Hochhuths – andere Diarrhöe: Bei Namen Lebender weiß er nur «Der hat mich mal gedruckt» oder «Der hat mich mal verteidigt». Beim Gespräch über die Schnödigkeit, mit der der MILLIARDÄR Bucerius uns alle ohne Altersversorgung ließ, erwähnte ich z. B. Strothmann, der in der ZEIT mal für Israel zuständig war und wortlos zu seinem 65. gekappt wurde. Hochhuth: «Ja, der war nett, der hat immer was von mir gedruckt, mehrere Artikel.»
    Vorgestern – «Wir bitten Sie herzlich und dringlich» – zu einem Radio-Interview über die DOCUMENTA nach Kassel. «Bitte seien Sie pünktlich, wir gehen genau 19 Uhr auf Sendung.» Zwar hatte man mir eine falsche Adresse gegeben – ich war dennoch pünktlich. Eingeplant, i. e. mir vorgegaukelt war ein 60-Minuten-Gespräch mit mir und Tilman Spengler. Um 19.05 begann eine Combo zu spielen, dann kam ein Eingangs-Statement, dann kam ein eingespieltes Interview mit Mme. David, dann kam ein Statement von ich-weiß-nicht-wem. Dann war es 19 Uhr 25 – da durfte ich EINE Frage beantworten, dann Spengler eine, dann spielte die Combo. Die 2 extra herbeigereisten Autoren hatten jeder MAXIMAL 10 Minuten. Dafür Reise, Spesen, Honorar, ein «Regisseur», ein Moderator, eine Redakteurin, drei «Betreuer». Ich saß bei Schinkenbrot und Radeberger Pils im Speisewagen retour und wußte nicht, ob weinen oder lachen.
    Heute FOCUSinterview über Heine-Buch. Auch der Mann extra aus München angereist. Die 1. Frage: «Was finden Sie an Heine?» So ging es weiter – der Mann war nett, aber hilflos und doof. Gedruckt werden gewiß nicht mehr als 6 Sätze.
    Gestern abend sehr eindringlich, behutsam wie nachdenklich von Freund Tabori für die Leipziger Oper eingerichtete MOSES UND ARON-Gastspiel-Aufführung. Bewegend. Seltsam dabei Schönbergs Äußerung, er habe das NICHT im Gedanken an eine Aufführung geschrieben. Also ein Bild, das man NICHT sehen soll? Fast schon das Thema des Abends: «Du sollst dir kein Bild machen.» Das Ganze die alttestamentarisch-jüdische Variante von DANTON; denn offenbar ist Aron der «irdische», um nicht zu sagen genießerisch-materialistische «Bruder» von Moses, wie Danton der hühnchenfressende «Bruder» des rigiden Gesetzgebers Robespierre ist.
    Nicht direkt «verkommen», aber doch das zweifelhafte Gewäsch der Herren Interpreten vorführend ein paar Sätzchen von Hans Mayer im Programmheft, der weiß: «Die Juden in MOSES UND ARON, nicht allein wenn sie ums goldene Kalb tanzen, sind Österreicher. Eine Sprachanalyse des Textes könnte es bestätigen» usw. – dieses herrlich-mayerische «könnte» – er LIEFERT aber diese Sprachanalyse nicht, er verblüfft den Leser, der sich kleinlaut-ungebildet vorkommt, weil er den Text nicht zur Hand hat. Der TEXT aber liest sich so:
    (Ein Beispiel)
    Selig ist das Volk, und groß zeigt
    Ein Wunder,
    Was Begeisterung, was Entzücken imstande:
    Unverwandelt keiner, jeder erhoben,
Unvergriffen keiner, jeder ergreifend.
Menschentugend, kraftvoll, wiedererweckte:
    Ernst und Freude, Maß und Übermaß,
    Frohsinn, Glück und Sehnsucht, Schwung
    Und Ruhe, Besinnung.
    Das, natürlich, ist typisches Wiener Caféhaus, SO, genau so, spricht man dort beim Heurigen. Der pure Verblüffungsquatsch. Statt auf das seltsame Gemisch aus Luther – Altem Testament –, gar Wagner und fast Brecht hinzuweisen, kommt bei dem «Kölner Anwalt» (wie Adorno ihn nannte) eine weitgereiste Handbewegung; die leider in eine gänzlich falsche Richtung weist.
    Verblüffend an derlei ist nur, daß man DEM derlei stets gestattet, abgenommen hat. Sonst druckte man’s doch nicht – unbesehen? – wieder im Programmheft ab, diesen Stuß.
    9. Juli
    Donnerstag frappierend enttäuschender Abend.

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