Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
blicke von der wunderbaren Terrasse über Garten, Pool und Meer auf die «Skyline» von Nizza, direkt auf die Kuppel des Negresco – und weiß nicht: richtig oder falsch? Beschwöre ich den Zorn der Götter, oder habe ich’s verdient? Aber: die Sonne, das Licht, der Zauberblick auf die Baye des Anges (in Hamburg ist es grau und kalt). Wird es mich «ent-laden» – oder ist eben das schlecht für meine Arbeit, weil es die notwendige (für mich notwendige) Spannung sänftigt und auch ein gewisser «Verrat» am geliebten Sylt?
4. Oktober
Mein Widerwillen, vor allem Unverständnis gegenüber dieser Ästhetik der Zusammenhanglosigkeit, des Assoziativen, wie sie seit geraumer Zeit im Schwange, wenn nicht «en vogue», schick ist. Gestern Elfriede Jelineks Robert-Walser-Stück, ein wüster, zusammengekehrichter Haufen von Zitatschnipseln, wie vorher schon ihr STECKEN STAB UND STANGL, wie vorher die Stücke – zumal das letzte, «Krieg» – von Goetz; kaum eigene Sprache, keine Handlung, collagiertes «Material», ein Bedienen der Fernbedienung, die Zapp-Ästhetik, damit doch ein Sich-Ranmachen an Sehgewohnheiten, statt UNGEWOHNTES sichtbar zu machen. Hat den vergänglichen Appeal von Plateau-Schuhen. Plateau statt Niveau.
Nizza, den 14. Oktober
Sonne zwar, aber keine innere Ruhe (von der ich mir einbilde, sie eher/nur in Sylt zu finden): die brüllend-laute, von hupenden, stinkenden Autos verstopfte Stadt, das Strichlein «Strand» am Postkartenmeer (Hans-Jürgen Heinrichs hat mich vergiftet mit einem wüsten Wellenfoto, Natur pur, in seinem Gomera). Immer will man – will ich – das Andere: Bin ich auf so einer Natur- und Wellen-Insel, passen mir die tätowierten Bäuche nicht, das Rucksackpack mit Shorts und Sandalen, im Restaurant das Messer in der linken Hand ragend. Hier nun sitzen kultivierte alte Herren mit einer Rosette im Knopfloch bei 2 (!) Dutzend Austern, aber mein Kopf dröhnt von Lärm und Dreck. Ridikül, wenn ein Mann von gleich 70 seinen Ort nicht findet!
Nachtrag zur Süße der Macht: Bei Schirrmachers Abendeinladung – also: bei der FAZ – drängte sich die Prominenz von Bubis über Unseld zu Muschg, Michael Krüger oder Baumgart. Fernseh-Verlags-Zeitungsgrößen aller Couleur standen Schlange am Buffet der Macht-Häppchen, über dem eine Flagge, «ich bin dabeigewesen», hätte flattern können.
Widerlich: Nun, da mit einem «Enthüllungsbuch» über seinen früheren Arbeitgeber plump-ordinär landend und landauf, landab verrissen, «beichtet» ein ehemaliger SPIEGELredakteur, er habe MICH stets aus Neid attackiert, es sei dem KUHAUGE schweres Unrecht geschehen, er habe es jetzt erst (!!) richtig gelesen und sei verwundert, was für ein gutes Buch es sei. So was also nennt/nannte sich Literaturkritiker.
Traurig: Schirrmacher schreibt mir als PS zu seiner Party, der Herr Reich-Ranicki spräche nun von «Versöhnung» (mit mir); alldieweil ich ihn – an der Grenze der Höflichkeit – zurechtgewiesen und zurechtgestutzt hatte, vor einem Boxring-ähnlichen Kreis gespannter Zuhörer (Schirrmacher: «Hätte ich doch ein Mikro – 2 Mythen begegnen sich»); dieser Mensch kann nicht «zwischen-hören», und wenn ich zwar witzig, aber doch auch wieder ernst, etwa sage: «Wieso sprechen Sie im Zusammenhang mit sich von Schreiben – Sie schreiben doch mit dem Telefonhörer», dann lacht er, ohne zu merken, wie schrecklich dieser Satz ist. Wie will/kann so jemand je Literatur beurteilen, so gänzlich ohne Gehör für Zwischentöne.
25. November
Per «Lieber und hochverehrter» – ein Nein des Feuilletons zu meinem Vorschlag, ein paar Zeilen zu Joachim Kaisers 70. zu schreiben. Weiß nicht, wem gegenüber das schnöder, Kaiser oder mir. In jedem Fall: wieder ein kleiner Skandal, daß dieses «Intelligenz»-Blatt nicht 70 Zeilen opfern mag für einen der wichtigsten, elegantesten und auch hochverdienstvollsten Kritiker des Landes. Sie reiten im Damensattel – aber sie haben kein Pferd.
1. Dezember
Eine schwarze Pointe des Abends: Der Theaterintendant explodierte fast, als ich den Namen Brasch erwähnte; es stellte sich heraus: Nicht mal mehr eine beauftragte Shakespeare-Übersetzung schafft er. Baumbauer: «Man hat mich gewarnt, ich ginge ein hohes Risiko ein, ich dachte dennoch …» Also mußte er den Auftrag kündigen – wobei alle sich fragen: «Wovon lebt Brasch eigentlich?» –, aber viel schlimmer doch: eine so wunderbare Begabung, ein so großartiger (auch noch schöner) Kopf: alles
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