Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
ja bei Pauls Hochzeit.» Heiliger Freud.
Und so war’s dann auch: eine reine Wunderlich-Inscenierung, die meisten Gäste weißharig, also kaum Lauras Freunde. Der erste Teil eine Mischung aus «Hochzeit des Paten» und Fellini: in der kleinen Dorfkirche von St.-Pierre-de-Vassols versammelten sich ca. 200 Hochfein-Gekleidete, die Damen in Roben, die Herren im Smoking, die weder die Gebete sprechen noch die Lieder singen konnten: eine gemietete Kirche und ein Leih-Pfaffe. Dann kam die Vorfahrt der Rolls-Royce und Mercedesse, dann betrat der Brautvater, im Cut, mit grauem Zylinder und blauer (selbstangefertigter) Sonnenbrille die Kirche, am Arm «das Opferlamm» in Spitze, mit 10 Meter langer Spitzenschleppe. Dann kam die Abfahrt, das Brautpaar hinten auf dem Verdeck eines Rolls-Royce-Cabrio, davor Karin in der Ente als Filmende, dann Paul in seinem Rolls-Royce, dann etwa 120 Luxuskarossen.
Doch in DEM Moment, in dem die Karawane im Schlöß’chen ankam, hatte alles Stil, Grazie, Heiterkeit: leichthin übers Grundstück verstreut Tische mit Champagner, Paté und winzigen, aber ausgesucht provenzalisch-leckeren «Häpp’chen», nichts war zu dick aufgetragen, alles hatte Charme und Leichtigkeit, bis zur diskreten Beleuchtung von Park, Skulpturen und Brunnen. Das Anwesen (mit einer wunderbar/wunderlich-skurrilen neuen Skulpturengalerie, endend an einem Wunderlich-Brunnen) schien wie erschaffen zu so einem Fest.
30. August
Mein Leben-gegen-den-Strom. Rolf Michaelis, einer «meiner» unbalanciertesten, aber liebenswertesten Redakteure – dem man Grappa-trinkend am Tresen eines italienischen Restaurants um Mitternacht begegnen konnte: aber immer in der linken Hand das jeweils neue Handkebuch; der auch schon mal über seiner Schreibmaschine in der Redaktion einschlief, so daß ich tiefnachts einen halbfertigen Artikel von ihm direkt in die Bleisatzmaschine hinein fertigdiktieren mußte (SO lange ist das her!) – Michaelis also WURDE aus der ZEIT ausgeschieden; wie ich höre, unter unwürdigen und demütigenden Begleitumständen.
So schrieb ich ihm einen Brief und schickte ihm einen Karton jenes Champagners, den ich weiland Woche für Woche zur «Feier» der neuen Nummer dem Ressort spendierte. Zurück kam ein, wie ich finde, eher dürftiges Kärtchen.
Wie ich finde: Oder ist es nicht ganz sympathisch? Was mehr hätte er eigentlich schreiben sollen. Erwarte ich immer «mehr», also zu viel von den Menschen?
Kampen, den 3. September
Unheimlich: ein sehr präziser, «schöner», erotischer – nicht sexueller – Traum von einer großen Liebe, ein junger Mann, blondgelockt und eben ein «Traum» an Geist, Seele und Körper, kein geiler Traum, das auch, aber es war weniger sexuelle Erregung/Befriedigung als erotische Erfüllung. Höhepunkt die «Beichte» einer Nacht mit einem anderen (den ich, Logik des Traumes, auch kannte und begehrte), mein stupendes Unglück ob dieses Treubruchs, ein gemeinsames, quasi seelsorgerisches Gespräch mit dem Pfaffen, in dem der blonde Engel sich anfangs mokierte, ich tue so, als sei Sexualität etwas Heiliges, dann tief erschrocken über die Pfaffenreplik: «ABER sie IST etwas Heiliges, das Heiligste, was der Mensch hat, es ist seine ‹Pforte› zum Mitmenschen» – und schließlich ernst wie beim Eid sagte: «Gut, ich liebe den Fritz, dann werde ich nur noch onanieren.»
Am unheimlichsten: daß ich mir – man vergißt doch Träume? – so etwas so genau merke, so sehr, daß ich mich beim Erwachen vor Gerd genierte, als sei es alles Wahrheit.
19. September
Lange Pause, weil in wochenlangem Sylt-Regen an der neuen Erzählung bastelnd, die mir im Moment nicht zu gelingen scheint.
Es waren also nur graue Dämmerwochen, ohne meinen geliebten Indian Summer an der See, mit nassen Unvergnügtheitsspaziergängen.
Morgen seltsam unfreudig nach Nizza, wo ich also meine neue Wohnung «trockenwohnen» werde, für eine Woche mit Gerd, alles sehr schön und alles sehr comfortabel; aber in mir ein Zwicken und Zwacken, ob’s denn dann wirklich «meins» sein wird, ob ich zu der Landschaft, zu allem DU sagen werde (wie seit Jahrzehnten zu Sylt) oder ob’s eine irritierend-falsche Mondänität wird. On verra .
Nizza, den 23. September
Da sitze ich also, «auf» meiner dritten Adresse, in verzagter Freude (und in strahlend-heißer Sonne): verzagt, weil die «Apparatur» zu kompliziert, für die mein Französisch nicht reicht – was heißt Bohnerwachs, Müllschippe und Abzugshaube. Ich
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