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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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– – – woraufhin ich endlose Leserbriefe mit Lexikonexzerpten und wütenden Begleitbriefen erhielt: «Wenn er so was schon nicht weiß, dann hätte Herr Raddatz doch wohl wenigstens im … nachschlagen können.» DIE ZEIT hat wirklich die schlimmsten Spießer-Leser der Welt, die auch Heine nach (s)einem ICH WEISS NICHT, WAS SOLL ES BEDEUTEN, DASS ICH SO TRAURIG BIN schreiben würden: «Na, hören Se mah, Herr Heine, Sie werden doch wohl noch wissen, warum Se traurich sind, wa?!»
    So ja auch die nach wie vor und nie unterbrochene Verfolgungsjagd auf «den Herrn R.» wegen Goethe und der Bahnhof; noch heute, nach ca. 15 Jahren, die dieser lächerliche Fehler her ist, kommen Briefe: «Das ist doch derselbe Herr, der nicht mal wußte …» Diese Hohlköpfe würden auch Briefe an Thomas Mann schreiben (wenn sie’s gemerkt hätten), weil er Toni Buddenbrook 1847 einen Strandkorb erblicken läßt (welchselbiges Möbel aber erst 50 Jahre später entwickelt wurde), oder an Kleist, weil der von «Ixion» schreibt, «der verdammt war, ein Rad auf einen Berg zu wälzen». Ein dickes Buch der «Fehler» wäre zusammenzustellen, witzig und amüsant: als habe das irgendetwas mit der Lebensleistung eines Menschen zu tun. Das imposanteste Glied des deutschen Mannes ist der erhobene Zeigefinger.
    15. Juli
    Franziska Augstein erhält den Curtius-Förder-Preis «für ihre Essays»; der Haken an der Sache: Es GIBT keinen einzigen Essay von ihr. Erhielte den Preis – Preisfrage – auch ein Fräulein Franziska Schultze?
    Valerio Adami, soeben mit einem Millionen-Dollar-Honorar für ein Fresko in einer italienischen Bank entlohnt, widmete dieses Fresko dem Thema «gegen Zinszahlungen». Wird er – Preisfrage – das Geld zinslos anlegen? Vorerst kaufte der über 60jährige sich einen Porsche. Kurz zuvor hatte er per Anwalt seiner leider auch malenden Frau – die also Adami heißt – verboten, sich Adami zu nennen. Die Ehefrau nahm ihrerseits einen Anwalt. Ansonsten lebt das Paar harmonisch – und täglich – zusammen.
    17. Juli
    Der MESSIAS im Müll: Seit Tagen versuche ich, meine ca. 700 alten Langspielplatten zu verkaufen, bei einem Laden, der annonciert: «Kaufen JEDE Platte» – und der mir angewidert die schwarzen Scheiben mit den Worten «Die sind ja gebraucht!» zurückgibt; heute nahm man mir für DM 10 welche ab … So muß ich also in den Müll werfen, was Konwitschny oder Barenboim dirigierten, was Brendel oder Casals spielten, was Händel oder Schostakowitsch schufen – – – mir tut der Magen weh. Kein Altersheim, kein Ausländerauffanglager, keine Blindenanstalt – sie wollen alles «neu», CDs, empfinden Gebrauchtes als Kränkung.
    Bach in die Mülltonne: ekelhaft.
    Schloßhotel Weyberhöfe, Sailauf, den 19. Juli
    Hier war ich Axel Springers Schokotört’chen: schmählich und ein wenig grotesk – eine Veranstaltung der Werbeabteilung des Springer Verlags «auf den Spuren von Tucholsky», d. h., man hatte die höchst-karätigen (heißt das so?) Anzeigengeber geladen, wobei neben üppigen Déjeuners auch etwas «Kultur» geboten werden sollte. Kultur war mittags FJR mit einem Vortrag und abends Uwe Friedrichsen mit Tucholsky-Interpretationen (die beiden «Künstler» trafen sich auf der Schloßtreppe, schweifwedelnd). Die «perfekte» Dramaturgie zeigte nur allzu klar, daß man Pausen-Clown ist: Flug und Limousine am Frankfurt-Airport und Schloßhotel – wo ich, zu früh, mit dem Grafen über Karpfenzucht plauderte, bis die Tortenplatten, die riesigen Kaffeekannen und schließlich der Bus mit den satt-müden «Gästen» kam. Die durfte ich dann beim Mittagsschlaf oder, wenn’s gutging, beim Klappern mit den Kuchengabeln stören.
    1 Minute nach dem obligaten Applaus gab es den Scheck, dessentwegen ich das alles tue, und 1 weitere Minute später hatte ich mich in Luft aufgelöst, war vergessen.
    Bezeichnend übrigens die kurze Begegnung mit Uwe Friedrichsen, dem noch nicht geschminkten Mimen mit schwarzem Sakko über dem Bügel – der mir erzählte, er habe bei den beiden Hamburger Bühnen, auf denen er immerhin jahrelang auftrat – und als eine Art Jungstar galt –, vergebens angefragt, ob man denn etwas zu seinem 65. «machen» wolle; es kam nicht mal Antwort.
    Insofern eine Pointe: zwei Anrufe aus dem Grab.
    Der 85jährige Helmut Kindler, der – so war er immer, der Cadillac fahrende Neureiche – von «meiner neuen Frau» redete (als sei es eben ein neues Auto), der irgendwas von mir gelesen, über

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