Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
würde, und hat mich gebeten, mal reinzuschauen.“
„Sie wollte, dass Sie bei dem Interview dabei sind?“
„Offensichtlich. Glück für Sie.“
„Sie arbeiten also auch in der Klinik?“, fragte Judith.
„Wohl oder übel“, sagte er schief grinsend. „Mein Vater hat mir seinen Anteil an der Klinik vermacht.“
„Das klingt, als ob Sie dort nicht gern arbeiten würden?“, sagte sie.
„Ich hatte schon als Baby ein Schildchen um den großen Zeh, auf dem stand: Plastischer Chirurg.“
„Und wenn Sie dieses Schildchen nicht um den großen Zeh gehabt hätten, was wären Sie dann geworden?“
„Konzertgeiger.“
Ach du Schreck.
„So eine Chirurgenfamilie ist also eine richtig schwere Bürde“, sagte Judith und hoffte, dass es nicht ganz so sarkastisch klang, wie sie es meinte.
„Erbschaften können auch lästig sein“, erwiderte er.
„Und was machen Sie jetzt mit den ganzen Bildern?“, fragte Judith.
„Was sollen wir schon damit machen? Nichts.“
„Wie, nichts? Werden Sie sie nicht verkaufen?“
„So was kann man nicht verkaufen. Viele der Bilder waren seit Generationen im Besitz der Familie. Mein Vater hat sie nur zurückgekauft.“
„Und was haben Sie dann davon?“
„Kosten. Für sichere Lagerung.“
„Und Ihre Tante? Was wollte Ihre Tante werden?“
„Die wollte immer nur eins sein: Plastische Chirurgin. Ich glaube, sie ist die einzige in der Familie, die ihre Bestimmung in der Klinik gefunden hat.“
„Ihr Vater war auch nicht begeistert von seinem Job?“
„Mein Vater lebte für seine Kunst. Und Sie? Ist Journalistin Ihr Traumjob?“
„Ich wollte nie etwas anderes werden“, sagte Judith und musste nicht mal lügen. „Ich stelle es mir furchtbar vor, wenn man einen Job machen muss, zu dem man keine Lust hat.“ Sie sprach aus Erfahrung.
Judith bekommt Besuch
Wie sie vorhergesehen hatte, dauerte es seine Zeit, bis sie Nils Sprengler endlich losgeworden war. Nicht, dass ihr seine Gegenwart unangenehm gewesen wäre. Im Gegenteil, wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich sogar ein bisschen von ihm beschützt. Der Polizeiwagen hatte vor ihrer Tür gewartet, sie hatten ihre Wohnung gesichert und waren so lange geblieben, bis der Schlüsseldienst ein neues Schloss eingebaut hatte. Nils Sprengler hatte nicht nur den Schlüsseldienst bezahlt, sondern ihr auch noch 100 Euro in bar gegeben, damit sie über die nächsten Tage hinwegkommen würde. Er hatte sich, ohne die Miene zu verziehen in ihre Miniküche gezwängt und ihr einen Tee gekocht. Auch das ungemachte Bett hatte er geflissentlich übersehen.
Sie war ein bisschen hin und hergerissen gewesen. Einerseits gefiel ihr dieser viel zu große Mann mit seiner altmodischen Fürsorglichkeit, andererseits wollte sie so schnell wie möglich mit Alice von Kaldenberg reden. Sie wurde ihn erst los, als sie ihm versprach, am kommenden Dienstag mit ihm in ein Konzert zu gehen. Bernhard Goldsmith dirigierte Mahler.
Kaum hatte er sich verabschiedet, rief Judith am Kudamm an. Diesmal war Elke am Apparat.
„Judith, wo sind Sie?“ Sie hörte echte Besorgnis aus Elkes Stimme.
„Zu Hause, ist Lady Kaa zu sprechen?“
Elke lachte aus vollem Halse. „Lady Kaa ist gut. Mit einem oder mit zwei a?“, fragte sie.
Im Hintergrund hörte Judith Alice von Kaldenberg lachen. „Gib mir mal den Hörer“, sagte sie zu Elke.
„Lady Kaa gefällt mir. Aber ich bestehe auf zwei a, so wie die Schlange im Dschungelbuch, die mit dem hypnotischen Blick“, sagte Alice von Kaldenberg in den Hörer. „Wie geht es Ihnen, Schätzchen?“
„Bis auf eine Platzwunde am Kopf und einem Brummschädel ganz gut. Ich fürchte, die haben mit meiner Handtasche zusammen nicht nur das Diktiergerät, sondern auch Ihre Autoschlüssel geklaut“, sagte Judith.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Hüsy und Maria haben das Auto schon geholt, wir werden ein neues Schloss einbauen lassen. Gott sei Dank waren die Autopapiere im Wagen. Was genau ist eigentlich passiert?“
Judith erzählte es ihr.
„Sie haben sehr umsichtig reagiert. Danke, dass Sie nichts von unserem Auto vor der Tür und den Autoschlüsseln gesagt haben. Und das Handy scheinen Sie ja noch zu haben. Haben Sie Fotos gemacht?“
„Natürlich“, sagte sie. Lady Kaa meinte, sie solle jetzt mal schnell ins Bett gehen und wünschte ihr eine gute Nacht. Von wegen. Alice hatte sie gerade auf eine Idee gebracht. Judith lud das Fotoprogramm auf dem Handy. Die Walt-Disney-Villa erschien vor ihren Augen. Als
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