Tal der Tausend Nebel
schmerzen.
Sie musste ohnmächtig geworden sein, während Janson sie gewaltsam nahm, jedenfalls konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie er aus der Höhle gegangen war. Warum war er überhaupt fortgegangen? Hielt er sie für tot? War er gegangen, um Hilfe zu holen?
Als sie vorhin von dem hämmernden Schmerz in ihrem Kopf erwachte, war sie mutterseelenallein in dämmriger Finsternis. Zunächst wusste sie nicht, wo sie war. Das Kleid unter ihr, auf das Janson sie geworfen hatte, war klebrig von ihrem Blut und einer anderen Flüssigkeit. Ein ihr fremder Gestank stieg penetrant in ihre Nase. Sie ekelte sich so sehr, dass sie das Gefühl hatte, sich sofort übergeben zu müssen. Sie würgte und würgte, aber es kam nichts aus ihrem Mund. Nur die Wunde zwischen ihren Beinen schmerzte.
Elisa hatte mit einem Mal nur einen einzigen Wunsch. Sie wollte in das dunkeltürkise Wasser. Es schien sie im Dunkel zu rufen. Sie wollte darin untertauchen und für immer verschwinden.
Auf allen vieren kroch sie über die Steine der dunklen Höhle, die von den Sternen im Eingang nur wenig Licht bekam. Bis hinunter ans Ufer kroch sie, weil das Gehen ihr zu große Schmerzen bereitete. Als sie das kühle Nass spürte, glitt sie mit ihrem Unterrock immer tiefer in das dunkle Türkis. Das Wasser an ihrem Körper fühlte sich lindernd an. Sie hatte kaum ein Gefühl für die Temperatur. Der Untergrund, auf dem sich ihre Füße unsicher vorantasteten, war rau. Nur wenige Kiesel lagen auf dem Felsgrund. Ihr Kopf fühlte sich schwer an, und ihr Wunsch, auch ihn unterzutauchen, um den Schmerz zu vergessen, wurde übermächtig. Sie wollte den Ekel loswerden, der in ihren Schläfen pochte und in ihrer Kehle würgte. Es war ihr eigener Körper, vor dem sie Abscheu empfand, ohne zu wissen, warum. Das Gefühl war ihr neu. Sie erinnerte sich nicht an das, was geschehen war. Im Dunkel der Höhle war sie so erwacht. Nur instinktiv wusste sie, wie wichtig ein Versteck jetzt war. Sie musste an Tiere denken, die vor einem Jäger flüchten. Der Hai durchkreuzte ihre Vorstellung, und sie sah ihn in seinem Riff verschwinden. Ihr drohte Gefahr. Das spürte sie.
In dem kühlen Blau würde sie allein sein können. Sie würde wieder wissen, wer sie war und was sie wollte, bevor ihr die Sinne schwanden. Elisas Verstand sagte ihr, dass ihr etwas Schreckliches widerfahren war, denn es erinnerte sie an damals, als sie auf der Plantage wieder zu sich kam, nachdem Großvater Hai sie verschont hatte. Aber damals hatte ihre Mutter ihr gesagt, was geschehen war. Jetzt war sie ganz allein. Sie konnte nicht benennen, was es war, weil ihr die Erinnerung an die Tat selbst fehlte. Aber es musste etwas Schlimmes gewesen sein. Und es hatte mit Gerit Janson zu tun.
Bruchstücke waren noch da. Sie war mit Janson und Johannes in der Kutsche zu der Höhle gefahren, die sie immer schon hatte sehen wollen. Ihre Mutter hatte ihr dazu geraten, auch ihr Onkel. Ihr Onkel war Jansons Freund. Es gab Heiratspläne. Dann war Johannes mit einem Mal verschwunden. Ihr Gesicht war auf ihr Kleid gepresst worden. Janson hatte hässliche Worte über Kelii gesagt. Er war wütend gewesen, das wusste sie noch, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, warum. Ihr fehlte auch der Puzzlestein, wie der schreckliche Schmerz in ihren Körper gekommen war. Unterhalb ihres Nabels tat ihr selbst im kühlen Wasser alles weh. Aber ähnlich wie damals, als der Hai zugebissen hatte, konnte sie den Schmerz nicht genau lokalisieren. Es war, als wäre ihr Unterleib erneut nicht mehr der ihre.
Das kühle Blau, in das sie jetzt ganz untertauchte, half ihrem Kopf, klarer zu werden. Die Verwirrung wurde langsam weniger. Sie erinnerte sich daran, dass sie länger über Kelii geredet hatten. Elisa musste sich verteidigen, denn sie waren am Wasserfall gesehen worden. Aber nicht Johannes hatte sie verraten. Es musste jemand anderes gewesen sein. Janson war sehr wütend. Er hatte ihre Narbe sehen wollen, aber schlimmer noch, er wollte sichergehen, dass Elisa noch Jungfrau war. War das der Schmerz?
Langsam, wie in Zeitlupe, versuchte Elisa im Wasser, die Puzzlesteine zusammenzusetzen, während sie dorthin schwamm, wo der Höhlensee tiefer wurde. Instinktiv suchte sie nach einem Versteck, einem Riff, wie der Hai eins hatte, um sich vor Harpunen zu verbergen. Ab und zu kam sie zum Luftholen hoch, bis sie am hinteren Ende des Sees angekommen war. Hier wurden die Wölbungen flacher. Spitze Felszacken hingen von der
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