Tal der Tausend Nebel
Höhlendecke herunter. Das Wasser war dunkler hier, auch wärmer, wie es Elisa vorkam. Sie musste in der Nähe der warmen Quelle sein, die den See tief aus der Erde speiste.
Jetzt erst realisierte sie, wie stark ihre Zähne aufeinanderschlugen, obwohl sie nicht wirklich Kälte empfand. Das Meer, in dem sie mit Kelii das Schwimmen geübt hatte, war sehr viel kälter.
Da sah sie den Schein der beiden Fackeln am Eingang der Höhle. Der Impuls, sich zu verstecken, indem sie erneut untertauchte, kam tief aus ihrem Inneren heraus. Sie dachte an Maja, ihren Schutzengel, wie sie die fremde Frau insgeheim nannte. Aber sie wusste, dass es keinen Sinn haben würde unterzutauchen. Die Fackeln würden näher kommen. Man würde sie womöglich beim Auftauchen sehen.
So leise wie möglich und ohne das stille Wasser des Sees aufzurühren, glitt Elisa hinter einen der herabhängenden Felsen. Währenddessen betraten die beiden Männer die Höhle. Schon erleuchteten ihre Fackeln die Wände der Höhle und kurz darauf die Hälfte des Sees.
Aber hinter Elisas Felsen blieb es dunkel. Von hier aus konnte sie alles, was in der Höhle vor sich ging, gut beobachten. Der Felsen ließ über der Wasseroberfläche nur einen winzigen Zwischenraum frei. Sie konnte unmöglich gesehen werden.
Durch die Fackeln warfen die Silhouetten der Männer unheimliche Schatten an die Höhlenwände. Zielstrebig ging Janson zu der Stelle, an der er Elisa ohnmächtig zurückgelassen hatte. Verblüfft blieb er stehen.
»Hier ist niemand …« Dann rief er lauter.
»Elisa! Wo sind Sie?«
Jansons Stimme klang panisch, aber sie hütete sich davor, ihm zu antworten. In ihrem Versteck war sie sicher. Nur ihre Zähne schlugen von dem Schock und der Kälte so stark aufeinander, dass sie einen Finger dazwischensteckte, um sich nicht durch ein Geräusch zu verraten. Wenn Janson mit seiner Fackel näher zum Wasser kommen würde, könnte er sie sonst hören. Entschlossen zu warten, bis beide Männer wieder fort waren, stellte sie sich auf eine längere Zeit in ihrem Versteck ein. Sie konnte jetzt Johannes im Licht seiner Fackel gut erkennen. Er trat zu Janson und beleuchtete mit seiner Fackel ebenfalls die Stelle. Elisa konnte aus der Entfernung sehen, wie er vor Schreck zurückwich.
»Was ist passiert? Überall ist Blut …«
Entsetzt hob er Elisas besudeltes Spitzenkleid hoch. Doch Janson antwortete ihm nicht. Er hatte begonnen, über die großen Steine zum anderen Ende der Höhle zu klettern. Seine Stimme war panisch.
»Elisa! Wo sind Sie? Machen Sie keinen Unsinn … Sie brauchen Hilfe!«
Mit Entsetzen musterte Johannes immer noch ihr Kleid. Wieder verlangte er nach einer Auskunft, wollte wissen, was genau hier geschehen sei.
Janson antwortete ausweichend. Er suchte jetzt bereits die weiter entfernten Winkel der Höhle nach ihr ab. Zunehmend ärgerlich ermahnte er Johannes, es ihm nachzutun.
»Wir müssen sie finden! Elisa hat eine Dummheit gemacht. Erst wollte sie mich verführen, dann bekam sie Angst vor ihrer eigenen Courage … sie wollte schwimmen gehen, ist gefallen. Ich weiß auch nicht … Frauen kann kein Mann verstehen. Sie hat eine Ohnmacht vorgetäuscht. Was weiß ich? Eins der vielen Frauenleiden? Unter Umständen war sie auch betrunken? Oder sie wollte schwimmen gehen, und ihr wurde im Wasser schwindelig! Nun helfen Sie mir schon, anstatt nur dumm dazustehen. Wir können nicht ohne Elisa zur Plantage zurückfahren. Wir müssen sie suchen!«
Jansons Stimme hallte von den Höhlenwänden wider. Seine Worte klangen in Elisas Ohren wie das Knallen einer Peitsche.
Aber von ihrem sicheren Versteck aus konnte Elisa auch sehen, wie Johannes in Richtung See sah, in die Knie ging, die Hände vor sein Gesicht schlug und spontan anfing zu schluchzen.
Sie sah auch, wie Janson nach einigen weiteren vergeblichen Rufen zu Johannes zurückkam. Wütend begann er, den jungen Mann anzuschreien.
»Was stehen Sie hier noch herum! Helfen Sie mir gefälligst beim Suchen. Das ist ein Befehl!«
Johannes versuchte aufzustehen. Elisa konnte sehen, wie schwer es ihm fiel. Sie ahnte, was er dachte. Dass das hier war wie bei dem Mädchen Noelani, das sich vom Wasserfall in den Tod stürzte, weil Johannes’ Stiefvater ihr im Waschhaus der Plantage Vogel Gewalt angetan hatte.
So hätte auch Elisa in dieser Nacht ihr Leben in dem tiefen Wasser des Höhlensees beenden können. Aber sie tat es nicht. Etwas in ihrem Inneren hinderte sie daran. Ein ungewisses Gefühl von ewiger
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