Tal der Tausend Nebel
sprach er erneut, langsam und deutlich. Elisa verstand dieses Wort. Aloha. Es bedeutete Dank und Gruß zugleich. Sie nickte und wiederholte es mit dankbarem Lächeln. Es war eines der wenigen Worte, die sie von ihrem Vater nach seiner Reise gelernt hatte. »Aloha Kelii«, sagte sie, froh darüber, die Gewalt über ihre Stimme wiedergewonnen zu haben. Er nickte, und erneut fand sie sein Lächeln derartig bezaubernd, dass sie schnellstens die Augen niederschlug. Wie schade, dass dieser junge Wilde augenscheinlich kein einziges Wort Deutsch konnte. In Elisas Kopf wirbelten mindestens tausend Fragen durcheinander, die sie Kelii stellen würde, sobald sie seine Sprache gelernt hatte. Das war es, was sich Elisa in den ersten Sekunden ihrer Begegnung vornahm. Sie würde seine Sprache lernen, um mit Kelii zu reden.
Nur wenig später war auch Clementia der Abstieg über die Schiffswand gelungen. Sie saß in dem zweiten Kanu, in der Mitte zwischen den Ruderern. Schnell paddelten die drei Kanus nun gen Ufer, während die Nacht über der Bucht Einzug hielt. Die Wellen waren immer noch von beachtlicher Höhe und nur ein schmaler Streifen Tageslicht über den Hügeln wies ihnen noch den Weg.
Elisa saß hinter Kelii und wagte kaum zu atmen, weil sie so aufgeregt war. Sie versuchte, nicht zu der riesigen Haifischflosse hinüberzusehen, die ihnen vom Schiff in Richtung Ufer folgte. Auch konnte sie nicht benennen, ob es der Hai oder die präzise arbeitenden Muskeln des vor ihr sitzenden Mannes waren, die ihr Herz so heftig klopfen ließen. Sie konnte ihn riechen, oder besser gesagt sein dichtes langes Haar verströmte einen ganz eigenen Duft. Das dichte Schwarz glänzte durch den Gebrauch von Kokosfett, wie ihre Nase ihr verriet.
Trotz der Anstrengung schien Kelii nicht zu schwitzen, sodass sie keinen Körpergeruch an ihm wahrnehmen konnte. Nur das Tuch, das er ihr geliehen hatte, um sich zu bedecken, roch nach ganzem Mann, ein wenig so, wie ihr Vater gerochen hatte, nachdem sie zusammen beim Reiten gewesen waren. Unauffällig schnupperte Elisa an dem Stoff. Der Alte mit den grauen Haaren saß singend hinter ihr, und sie hoffte, dass man ihr nicht ansah, was sie in diesem Moment empfand, denn ihre Gefühle waren ganz und gar ungehörig.
Hinter ihr läutete die Schiffsglocke, und sie warf einen letzten Blick zurück. Im schwindenden Licht des Tages hob sich das Weiß der Takelage gegen den dunklen Himmel ab. Auf der Bremen III wurden die Segel gehisst. Rasselnd wurde die Ankerkette eingeholt.
Das Kanu, in dem Elisas Mutter saß, kam an Elisas Seite. Verkrampft sah Clementia geradeaus. Ihr Atem ging flach. Es hatte vor ihrer Abfahrt zwischen dem Verwalter und ihrer Mutter eine kurze Unstimmigkeit gegeben. Es ging um die Bücherkiste. Ihre Mutter hatte das Wortgefecht verloren. Sie würden die Kiste mit ihren Lieblingsbüchern erst in zwei Wochen bekommen. Van Ween hatte nur sechs Männer dabei und keine Lasttiere. Die Männer müssten die Vorräte und die Waren tragen, hieß es, das sei für die Plantage wichtiger als Frauenlektüre. Unfreundlich hatte der Verwalter Elisas Mutter in fehlerhaftem Deutsch angeblafft. Man hätte ihm nicht gesagt, dass die Frauen aus Hamburg so viel Gepäck dabeihaben würden.
Elisa kannte diesen verkniffenen Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter. Es würde seine Zeit dauern, bis sie sich von dieser ersten Niederlage erholt hatte. Immerhin war sie mit Elisa zu fünfzig Prozent Besitzerin der Plantage. Sie hieß »Gerhard Vogel & Paul Vogel« . Sie hatte von dem Verwalter, der immerhin ihr Angestellter war, mehr Respekt erwartet.
Elisa hatte das Benehmen des ungeschlachten Holländers ebenfalls nicht gefallen. Das schmierige Lächeln, mit dem er bei der Begrüßung ihren Köper gemustert hatte, war ekelhaft. Groß und kräftig mochten die van Ween-Männer ihre Frauen, hatte er gesagt, ohne mit der Wimper zu zucken. Vor allem ideal zum Kinderkriegen sollte ein Frauenbecken sein, so wie bei Elisa. Zu fassungslos, um etwas Passendes zu erwidern, hatte Elisa sich von dem Mann abgewendet, aber sie war mehr als entrüstet. Was fiel diesem Kerl bloß ein! Sie würde ihm bei erster sich bietender Gelegenheit eine Lektion verpassen, dachte sie sich jetzt, während sie zu seinem Kanu hinübersah.
Wieder schrie Piet van Ween seinen Ruderern ungehalten Kommandos zu, obwohl die drei Kanus im Gleichtakt gut vorwärtskamen. Ohrenbetäubend schrill ließ er seine Pfeife ertönen und zerstörte so die Magie der Stunde
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