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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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hatte mit eigenen Augen gesehen, zu was hungrige Haie fähig waren. Vor etwa drei Wochen war ein Matrose in einem Sturm von einer Welle über Bord gerissen worden. Trotz des tosenden Sturms hatte Elisa den Mann schreien hören, als der erste Hai zubiss. Das Wasser hatte rot geschäumt, als auch die anderen über ihn herfielen. Alles ging so schnell, dass die Mannschaft noch nicht einmal einen Rettungsring auswerfen konnte. Elisa hatte noch geglaubt, einen Stiefel gesehen zu haben, dann war es vorbei. Ihr Schiff war bereits zu weit weg.
    »Fräulein Vogel, Sie müssen weiterklettern!«
    Die Stimme des Kapitäns klang ebenfalls besorgt. Elisa atmete tief durch. Jetzt nur nicht die Angst gewinnen lassen. Sie wollte ihrer Mutter nicht noch mehr Kummer bereiten. Entschieden zwang sie sich an etwas Schönes zu denken. Als Elisa klein war, durfte sie beim Vorlesen in der Gartenlaube oft auf Vaters Schoß liegen, während die Mutter vorlas. An dieses Gefühl dachte sie jetzt, während sie ihre Angst bezwang und eine weitere Sprosse wagte.
    »Gut, Elisa, so ist es gut. Jetzt wieder ein Schritt. Das machst du gut, Liebes.«
    Aber die Stimme ihrer Mutter klang unsicher. Alle Blicke waren auf Elisa gerichtet. Fast die ganze Besatzung hing über der Reling. Der eine oder andere Kommentar sollte ermutigend klingen, verfehlte aber seine Wirkung. Elisa bekam zunehmend mehr Panik. Dabei war sie schon auf halber Höhe. So schätzte sie es ein, als sie nach oben in das Gesicht ihrer blassen Mutter blickte. Elisa wagte nicht, nach unten zu sehen, und ließ ihren Blick in die Ferne schweifen, um einen erneuten Anflug von Übelkeit zu kontrollieren. Sie bekam schlecht Luft in ihrem Seidenkleid. Es spannte durch das eng geschnürte Korsett über der Brust.
    »Du hast es fast geschafft!«
    Eine letzte Sprosse, dann spürte Elisa seine Hand an ihrem Schnürschuh. Sie wusste sofort, dass er es war. Ohne ihn anzusehen, wusste sie es. Der Druck seiner Hand war warm und ermutigend. Seine Stimme sprach in fremden Lauten zu ihr, melodisch wie ein Lied. Noch hielt Elisa sich an der Sprosse fest, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, wenn sie sich in das schwankende Kanu setzte. Ermutigend reichte er ihr seine zweite Hand. Sie musste loslassen, sich seiner Hand anvertrauen. Ein einziger großer Schritt, und sie würde sicher im Kanu sitzen. In dem Moment passierte es. Ratsch! Ein hässliches Geräusch. Der Riss in Elisas Kleid musste gewaltig sein. Elisa schluckte. Ob man an ihrem Rücken nackte Haut sah? Schamesröte überzog ihr Gesicht.
    »Elisa, vergiss das Kleid! Lass jetzt die Strickleiter los!«
    Ein tiefer Atemzug. Dann war ihre Hand sicher in seiner. Mit seiner Hilfe setzte sie sich in das schwankende Kanu und musste vor Erleichterung plötzlich lachen. Wie sie aussehen musste! Der Riss in ihrem Kleid ging von der Taille bis zur Schulter. Man sah ihr Korsett, aber vor allem auch ihre Haut. Ihre Mutter würde sie später deswegen schelten.
    Der junge Hawaiianer sprach wieder schnelle Worte in seiner singenden Sprache und lächelte sie auffordernd an. Wahrscheinlich wollte er sie willkommen heißen. Elisa bedankte sich höflich auf Deutsch für seine Hilfe und reichte ihm ihre Hand, wobei sie ihre bloße Haut bedeckte, so gut es ging.
    Von oben johlten die Matrosen um die Wette, und Elisa war fast sicher, dass die frechen Kerle noch wochenlang Scherze über ihr Ungeschick machen würden. Doch das war ihr in diesem Moment egal. Alles, was sie faszinierte, waren die unglaublich schönen Augen des jungen Mannes, der sie so offen anlächelte. Kelii, sagte er und zeigte auf sich. Verlegen nannte sie ihm auch ihren Namen. Er wiederholte ihn. »Elisa Vogel«, sagte er langsam, mit einer samtig weichen Stimme, die Elisa vor lauter Schamgefühl erneut erröten ließ. Und sie wünschte sich plötzlich nichts sehnlicher, als allein mit ihm zu sein, einfach nur seine Haut zu berühren. Nie zuvor hatte sie einem männlichen Wesen gegenüber derartige Gefühle gehabt. Es war ihr derart unheimlich, dass sie die Augen niederschlug, damit er ihr nicht ansehen konnte, was sie in diesem Moment empfand.
    Während sie sich abmühte, um den Riss zu bedecken, der ihre Haut von der Schulter bis zum Rücken unzüchtig bloßlegte, reichte er ihr ein Tuch vom Boden des Kanus. Es war aus einfacher Baumwolle, eines, wie auch er es um die Lenden trug. Elisa verstand. Sie legte es sich über ihre Blöße. Als sie fertig war, machte er eine grüßende Geste. Dann

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