Tal der Tausend Nebel
selber als Geschäftsfrau tätig zu werden.
Die Frisur ihrer Mutter gestaltete Elisa so elegant wie möglich. Das von Trauer spröde Haar glättete sie mit dem letzten Rest Frisierbalsam aus Rosen, ein Überbleibsel aus Hamburg. Dann reichte sie ihrer Mutter die Ohrstecker aus Perlen. Bei Paul und seiner Frau einen guten ersten Eindruck zu machen, war sicherlich kein Fehler. Dann bestand Clementia darauf, dass Elisa sie besonders fest in ihr Korsett einschnürte.
»Fester! Zieh noch ein wenig fester!«
»Aber du bist doch ohnehin schon so dünn«, protestierte Elisa. Ihre Mutter zog die Luft ein.
»Fester! Eleganz muss sein. Deshalb ziehst du ja auch ein letztes Mal dein schönes Kleid an.«
Elisa zurrte die Schleife am Korsett fest und steckte die Bänder unter das Gestänge. Zufrieden umfasste Clementia ihre eigene schmale Taille, während Elisa zweifelnd die Nähte an dem blauen Seidenkleid prüfte.
»Es wird reißen. Das Kleid ist mir viel zu klein. Da krieg ich keine Luft. Und zu kurz ist es auch.« Trotzig verschränkte sie die Arme.
Clementia schüttelte den Kopf.
»Mit einem Korsett von mir wird es gehen. Zudem ist es das Einzige, in dem du nicht wie eine junge Wilde aussiehst. Du möchtest doch nicht unschicklich wirken, nicht wahr?«
Die Mutter ließ ihren Blick über Elisas frech nach oben schauende Brüste wandern, die sich im Unterkleid einladend und prall abzeichneten.
»Kann ich denn etwas dafür?«
Die Mutter seufzte erneut. Wildfang hatte der Vater sie genannt, weil sie lieber mit ihm auf die Bäume in ihrem Garten geklettert war, als im Salon mit ihrer Mutter Klavier zu üben. Elisa war Gerhard wirklich mehr als ähnlich. Er hätte seine helle Freude an ihr gehabt.
Elisa hatte sich ebenfalls an der Waschschüssel notdürftig gewaschen. Als sie unter ihrem Unterrock den Waschlappen hervorzog, erschrak sie. Ein roter Streifen Blut leuchtete auf der weißen Baumwolle. Clementia sah es ebenfalls. Sie lächelte. Spontan umarmte sie ihr großes Kind. Elisas Mondzeit hatte endlich wieder begonnen, Gnade und Fluch zugleich. Aber vielleicht war ihr Kind jetzt endlich genug gewachsen!
Als die beiden Frauen zurück an Deck kamen, war alles bereit. Die Waren für die Plantage wurden aus dem Frachtraum von Matrosen mit Tauen und Flaschenzügen auf das größte der drei Kanus herabgelassen, während der holländische Verwalter von unten Kommandos brüllte. Die beiden Truhen mit den Kleidern und Büchern der Frauen standen an der Reling. In ihrem blauen Seidenkleid und mit der einfachen Hochsteckfrisur sah Elisa jetzt aus wie eine junge Adlige. Die Vorfreude ließ ihr Herz laut klopfen, während sie mit ihrer Mutter ein letztes Mal das Panorama Kauais bewunderte.
»So wie diese Landschaft hier, so stelle ich mir das biblische Paradies vor.«
Die Mutter lächelte.
»Du hoffst also, wir sind hier im Garten Eden, in dem der Baum des Lebens und der ewigen Weisheit wächst …«
Elisa nickte ergriffen. Sie hatte ein Gefühl, wie sie es sonst nur aus dem Alten Michel kannte, wo sie in Hamburg sonntags immer zur Kirche gegangen waren. Die sinkende Sonne hatte die Landschaft mit rosigem Glühen übermalt. Ihr Vater hatte Kauai in seinen Erzählungen als Paradies beschrieben, und er hatte recht damit gehabt, wie Elisa jetzt fand. Wo es so viel Schönheit gab, musste auch das Glück zu Hause sein. Ein Schauer der Vorahnung ließ die feinen Härchen auf ihren Unterarmen sich aufrichten. Hier würde sie ihr ganz persönliches Paradies finden, das hoffte sie von ganzem Herzen.
»Wenn Vater jetzt nur bei uns sein könnte …«
Elisa ging ganz in ihrer Vorfreude auf. An dem Strand standen majestätische Palmen auf weißem Sand. Rechts ragten die schroffen Klippen der Na-Pali-Küste auf. Links entdeckte Elisa die sanfteren Hügel von Hanalei. Bis zur Spitze von Kilauea konnte sie im Abendrot sehen. Dann beugte sie sich neugierig über die Reling. Sie wollte wissen, wo das Kanu mit dem schönen jungen Mann abgeblieben war. Während sie sich unter Deck fertig gemacht hatten, waren weitere Boote von der Insel gekommen. Es war ein lebhaftes Treiben. Waren wurden abgeladen, andere an Bord genommen. Elisa konnte den jungen Mann nicht entdecken. Einen kurzen Moment wurde ihr schwindelig. Das passierte manchmal, wenn sie nach unten aufs Wasser sah. Elisa mochte keine Höhen. Zudem mochte ihre Mondzeit etwas damit zu tun haben, dass Elisa sich insgesamt nicht sehr wohl fühlte. Der unbequeme Lappen zwischen ihren Beinen
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