Tal der Traeume
es nicht. Es ist nicht meine Schuld. Es war ein privater Brief.« »Privat? Und was ist mit meinem Privatleben? Wie kannst du es wagen, irgendjemandem zu schreiben, ich strebte das Amt des Residenten an? Ich habe das nie getan und werde es nie tun, und hier steht es nun Schwarz auf Weiß.« »William, ich habe mich hinreißen lassen, das ist alles. Ich glaube wirklich, du würdest es besser machen als Mollard.« »Hörst du mir eigentlich nicht zu? Ich habe diesen Job nie gewollt. Nie!«
Tom Ling klopfte an und schlurfte, sichtlich nervös, mit einer kleinen Karaffe Whisky, einem Wasserkrug, winzigen Keksen und zwei Kristallgläsern herein. Er stellte das Tablett auf den Schreibtisch und eilte hinaus, wobei er einen bedauernden Blick auf Harriet warf, die am Boden zerstört schien. Toms unerwartete Sympathie verlieh ihr neuen Mut, und sie setzte sich zur Wehr. »Wie oft muss ich es dir noch erklären? Ich bedauere das alles mehr, als ich dir sagen kann, ich fühle mich absolut gedemütigt und zerknirscht. Reicht dir das nicht?« »Nein. Wie soll ich klarstellen, dass diese Ideen auf deinem Mist gewachsen sind?« »Was soll das heißen?« »Mir ist jetzt erst bewusst geworden, wie ehrgeizig du bist. Du wolltest, dass ich Resident werde, damit du in der hiesigen Gesellschaft das Sagen hast. Das erklärt natürlich auch deine Angriffe auf Mollard und seine Frau.« »Das stimmt nicht«, rief sie. Er goss sich einen Drink ein. »Ich hätte gern auch einen. Whisky, meine ich.« »Du trinkst doch keinen Whisky.« »Jetzt schon.« »Wie du möchtest.« Er gab ihr den Whisky, den sie trotz des ungewohnten Geschmacks hinunterkippte. »Ich bleibe nach wie vor dabei, dass mein Brief privat war, aber du weißt ebenso gut, dass meine Äußerungen über die Mollards nur den örtlichen Klatsch wiedergeben. Du magst sie nicht, das weiß ich genau.« »Aber ich muss mit ihnen leben und kann sie nicht in aller Öffentlichkeit beleidigen. Andererseits kann ich zwischen den Zeilen lesen und erkenne deine Ambitionen, in die du mich leider einbeziehst. Dank deiner Dummheit und der deiner Mutter muss ich mich nun verteidigen und habe keine Ahnung, wie ich das anfangen soll.« »Warum musst du überhaupt etwas unternehmen?«, fragte sie wütend. »Du schuldest ihnen nichts. Und wenn sie es erfahren…« »Was dann? Sie wissen es doch schon. Sie wissen es schon eine ganze Weile und kennen diesen Zeitungsausschnitt.« Harriet sank in sich zusammen. »Sie kennen ihn? Oh, William, es tut mir so Leid!« »Ein Teil deiner Strafe war der Ausschluss aus dem Tennisklub«, fuhr er fort. »Aber meine dauert noch an…« Harriet konnte es nicht länger ertragen. Sie sprang auf und rannte aus dem Zimmer, hinaus auf die Veranda, wo sie einen Moment unschlüssig stehen blieb. Dann floh sie aus dem Haus und eilte in den Park an der Esplanade. Sie hielt erst inne, als sie das harte Gras hinter sich gelassen und den Strand jenseits der Teebäume erreicht hatte. Dort ließ sie sich im Schatten einer Palme zu Boden fallen und weinte. Sie bereute den Brief, war zornig auf ihre Mutter, entsetzt über Williams Mangel an Mitgefühl. Sie fühlte sich ungerecht behandelt und fragte sich, wie sie ihren Mitmenschen je wieder unter die Augen treten sollte. Bei diesem Gedanken spürte sie ein brennendes Erröten, das ihr ganzes Gesicht überzog. Sogar ihre Hände wiesen rote Flecken auf. Unglücklich schaute Harriet auf den Hafen, auf die blaue, einladende See. Welch eine Erleichterung, dort hineinzuwaten, sich in das warme Wasser zu werfen, immer tiefer ins Vergessen zu sinken. Sie blieb lange unter der Palme sitzen, die nur wenig Schatten bot, den Kopf ungeschützt, über sich den wolkenlosen Himmel und die brennende Sonne, die kein Mitleid mit ihr zeigten. Ihre Achselhöhlen wurden feucht, Schweiß rann zwischen ihren Brüsten hinunter, sie bekam Kopfschmerzen. Vermutlich würde sie sich einen Sonnenstich holen, doch was machte das schon? Dennoch, sie konnte hier nicht ewig bleiben, sie musste etwas unternehmen. Ertrinken oder heimgehen lautete die Devise. Sie besaß keine Freunde, niemanden in ihrem Alter. Und wenn Williams Freunde diesen Brief lasen, würde sie auch deren Sympathie verlieren. Maudie Hamilton hatte ihr einen Vorgeschmack darauf geliefert. Entschlossen stand sie schließlich auf, streifte Schuhe und Strümpfe ab und schaute aufs Meer hinaus. Dann packte sie die Angst. Nicht die Furcht vor dem Ertrinken, sondern vor Ungeheuern. Hatte man ihr nicht
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