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Tal der Traeume

Titel: Tal der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Patricia
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von dir, William, aber du möchtest heute Abend gewiss lieber allein sein. Es war ein langer Tag für dich.« »Ganz und gar nicht, mein Lieber. Ich bin ziemlich niedergeschlagen, wenn ich ehrlich sein soll; ich hätte nicht gedacht, dass mich der Abschied so mitnehmen würde. Ich würde mich sehr über eure Gesellschaft freuen.« Harriet war beeindruckt von seiner Ehrlichkeit. Sie selbst war oft einsam, hätte es aber nie so offen eingestanden. »Ich verspreche, dass ich euch nicht mit meiner Trübsal anstecken werde«, versuchte Mr. Oatley zu scherzen. »Meine Stimmung wird sich heben. Und falls nicht, spielt dort ein nettes Streichquartett, das ist Unterhaltung genug.« Harriet lachte. »Sie werden schon in Fahrt kommen.« Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Ich fürchte, meine Tochter begreift Ihren Verlust nicht.« »Myles ist nicht tot, Mutter!«, warf Harriet ein. »Und wir sind kaum für das Palace Hotel gekleidet«, fügte Merle hinzu. »Wieso nicht?«, fragte Mr. Oatley galant. »Ich finde Sie beide äußerst bezaubernd. Nun, Oscar, was sagst du dazu?« »Es ist uns eine Ehre.« Harriet war erleichtert. Sie aßen selten im Palace; das Gehalt eines Bankdirektors ließ derartige Extravaganzen kaum zu. Als sie durch die elegante Lobby schritten, war Harriet froh über ihre hoch gewachsene Gestalt, zu der das gut sitzende graue Schneiderkostüm ausgezeichnet passte. Im Speisesaal konnte sie sehen, wie ihre Mutter nervös die anderen Damen in ihren Abendroben musterte, doch das war ihr egal.
     
    Es wurde ein reizender Abend. Mr. Oatley war ein ausgezeichneter Gastgeber mit wunderbarem Humor, der sogar Mrs. Cunningham mit Geschichten aus dem Busch zum Lachen brachte. »Es heißt, Darwin stecke voller finsterer Gestalten«, konnte Merle Cunningham sich nicht verkneifen zu sagen, doch es schien ihn nicht zu stören. »Das stimmt«, bestätigte er nickend. »Sie können darauf wetten, dass die himmelschreienden Geschichten, die über Port Darwin kursieren, nicht nur der Wahrheit entsprechen, sondern noch untertrieben sind.« »Und Sie haben nicht vor, von dort wegzuziehen?« Mr. Cunningham kam seinem Freund zu Hilfe. »Mr. Oatleys Besitzungen liegen im Landesinneren, in Darwin befindet sich nur seine Firma. Es mag zwar Nordterritorium heißen, doch eigentlich ist es sein ureigenstes Revier.« »Aber ein Gentleman an einem solchen Ort«, entrüstete sie sich. Harriet schaute Oatley an, der mit seinem grau gesträhnten blonden Haar, dem kantigen Gesicht und der wettergegerbten, sonnengebräunten Haut das ältere Ebenbild von Myles war. Sie bemerkte, wie lebendig seine blauen Augen wirkten, obgleich er mindestens fünfzig sein musste. »Sie haben ganz Recht, meine Liebe«, erwiderte er lächelnd, »es ist ganz und gar kein Ort für einen Gentleman, der nicht weiß, wie er sich dort zurechtfinden soll.« »Und wie findet man sich dort zurecht?«, wollte Harriet wissen. Er stellte sein Glas ab. »Miss Cunningham, das ist eine gute Frage, auf die ich keine genaue Antwort weiß. Für Außenseiter ist es eine überaus sonderbare Stadt, eine Pionierstadt, könnte man sagen, aber gleichzeitig auch ein asiatischer Hafen. Von allen australischen Städten sind wir Singapur am nächsten, bei uns leben zahlreiche Asiaten, Aborigines und unsere eigenen Leute – darunter Büffel- und Krokodiljäger –, und man muss lernen, mit allen auszukommen.« Er rief nach der Kellnerin. »Aber ich möchte Sie nicht langweilen. Diese Stadt ist einfach unbeschreiblich. Sie müssten sie selbst erleben.« »Krokodiljäger?«, rief Merle aus und presste die Hand an die Kehle. »Aber Ihnen gefällt es dort?«, bohrte Harriet. »Du würdest nicht in Erwägung ziehen, dein Geschäft nach Perth zu verlegen?«, fragte ihr Vater. »O nein. Ich habe Darwin im Blut, es ist eine großartige Stadt. Ich sage dir, wohin Myles auch reisen mag, er wird dorthin zurückkehren. Für Menschen, die dort geboren sind, gibt es nichts Schöneres als das Territorium. Er wird zurückkommen.« Als sie den Speisesaal verließen, wandte er sich an Harriet. »Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen.« »O ja, vielen Dank.« »Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich eine junge Dame so ohne jede Vorankündigung zum Essen abgeschleppt habe. Ich möchte Sie dafür entschädigen. Meinen Sie, Ihre Eltern hätten etwas dagegen, wenn ich Sie morgen Abend in aller Form zum Essen einlade?«
    Vor dem Hotel entzündeten die Männer ihre Pfeifen und sprachen noch ein paar Worte miteinander,

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