Tal der Traeume
Anscheinend hatte sie keinen Verehrer, was für ein Mädchen ihres Alters ungewöhnlich war, sonst hätten die Eltern nicht versucht, Myles zu angeln. Die arme Harriet. Woher sollten sie auch wissen, dass Myles bereits versprochen war, dass Lucy Hamilton bei ihm an erster Stelle stand? Dann prüfte er seine Nachteile. Fünfzig musste ihr ungeheuer alt erscheinen. Es war deprimierend, dass ihn die erste junge Dame, für die er sich seit dem Tod von Emily May interessierte, aus eben diesem Grund zurückweisen könnte. Dabei fühlte er sich überhaupt nicht alt. Ganz und gar nicht. Doch er musste es versuchen, er mochte sie wirklich gern. Sicher würde sie ihm eine Chance geben. Am nächsten Tag begann William mit seinen Plänen zur Verführung der gesamten Familie Cunningham. Er würde in Perth bleiben, bis diese Angelegenheit ausgestanden war, egal wie. Und diesmal würde er nicht nur die Tochter einladen. Er charterte ein Boot, um mit Geschäftsfreunden flussaufwärts in eine Weinkellerei zu fahren, wo ein delikates Mittagessen serviert wurde. Er scheute weder Kosten noch Mühen und legte die Einladung auf einen Sonntag, damit Oscar und seine Damen daran teilnehmen konnten. Sie saßen an seinem Tisch, wo er Harriet wie alle anderen behandelte. Sie war eine Freundin, mehr nicht. Er sorgte dafür, dass sie eine Einladung zum Essen im Regierungsgebäude erhielten und auch dort in seiner Nähe saßen, am Tisch des Gouverneurs. Erfreut nahm er an, als Merle ihn erneut zum Essen bat, und genoss ihre Gesellschaft. Sie besuchten gemeinsamen das Pferderennen und gingen mit Oscars Kollegen zum Picknick der Bankangestellten. Er lernte Freunde der Familie kennen, die hocherfreut waren, einen wohl bekannten Mann wie William Oatley in ihren Kreisen zu begrüßen. Er stürzte sich in einen Wirbel gesellschaftlicher Aktivitäten, wie er ihn seit den Reisen mit Emily May nicht mehr erlebt hatte. Und die ganze Zeit über wiegte er Harriet in Sicherheit, hörte ihr zu, freundete sich mit ihr an, weil er um ihre Einsamkeit wusste, wobei er gelegentlich erwähnte, er müsse bald nach Darwin zurückkehren. Eine Reise nach Singapur stehe bevor. Doch auch dieser Köder zeigte keinen Erfolg. Zu spät begriff William, dass er ihr völlig verfallen war, dass er sie vergötterte. Sie war genau die Richtige für ihn. Ein starker Verstand, ein kräftiger Körper, eine Frau, der die Strapazen der Tropen nichts anhaben konnten. Er betrachtete sie nicht länger als junges Mädchen: Sie war eine begehrenswerte Frau, die, so fürchtete er mittlerweile, unerreichbar für ihn bleiben sollte. Das schmerzte. Er war erstaunt, wie sehr es schmerzte, als erlitte er schon jetzt einen unerträglichen Verlust. Währenddessen zeigte sich Harriet fröhlich in seiner Gegenwart, behandelte ihn als Freund der Familie und ließ keinerlei Anzeichen dafür erkennen, dass sie an eine engere Bindung dachte. Ihm lief die Zeit davon. Er musste wirklich aufbrechen, seine Geschäfte drängten, eine Handelsagentur ließ sich nicht auf dem Postweg leiten. Als er sie eines Tages auf dem Weg zum Fischmarkt entdeckte, eilte er über die Straße auf sie zu. Er musste etwas unternehmen, und dies war seine Chance.
Zu Hause war es unerträglich für Harriet. Sie spielte sogar mit dem Gedanken, davonzulaufen oder den Zug nach York zu nehmen und bei ihrer Tante zu bleiben, um dem Nörgeln ihrer Mutter und Oscars schweigender Missbilligung zu entrinnen. »Du siehst doch, dass er ein Auge auf dich geworfen hat«, wiederholte Merle unermüdlich. »Warum beachtest du ihn nicht?« »Das ist nicht wahr. Du bist diejenige, die ich nicht beachten sollte, du mit deinen unwürdigen Andeutungen, es ist ihm doch nur peinlich. Meinst du, er wüsste nicht, dass ihr mich ihm anbietet, weil er so viel Geld hat? Der Mann ist doch nicht dumm.«
Offensichtlich hatte Merle mit ihrer Freundin Anna über die Angelegenheit gesprochen, und Anna gab Harriet nun im Flüsterton einen Ratschlag. »Meine Liebe, besser der Schatz eines alten Mannes als die Laune eines jungen Burschen.« Das machte Harriet nur noch wütender, und Merle fiel zornig über ihre Freundin her. »Halt doch den Mund, Anna! Wie kannst du so etwas sagen! William Oatley ist nicht alt! Er ist genau richtig für ein Mädchen wie Harriet.« »Ich wollte doch nur helfen.« »Dann sag am besten gar nichts!«, fauchte Harriet. »Und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du keine Klatschgeschichten über mich verbreiten würdest. Mr. Oatley ist
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