Tal der Träume
denn je ab. Ihm graute vor der Rückkehr nach Darwin und der Begegnung mit dem gleichaltrigen Mädchen, das seine Stiefmutter geworden war. Den Briefen seines Vaters zufolge waren sie noch immer wie die Turteltäubchen, und die Vorstellung, bei ihnen zu wohnen und dieses Verhalten mit ansehen zu müssen, verursachte ihm Übelkeit.
Bislang war er der Alleinerbe der Oatley-Stationen und der lukrativen Handelsagentur seines Vaters gewesen. William erwähnte dies in jedem Brief und hielt seinen Sohn über all seine Grundstücksund Bergbaugeschäfte, die ihm ein Vermögen einbrachten, auf dem Laufenden. Er informierte Myles auch pflichtbewusst über dessen umfangreiches Aktienportfolio, das ständig an Wert gewann, und bat ihn gelegentlich um Rat, was sein Sohn zu schätzen wusste. Er begriff, dass sein Vater ihm auf diese Weise nahe bleiben und gleichzeitig Vorsorge treffen wollte, falls er krank werden oder, Gott behüte, sterben sollte. Er war so weitsichtig, seinen Sohn darauf vorzubereiten, im Notfall den Besitz zu übernehmen.
Zu seiner Überraschung hatte er Myles in einem der letzten Briefe geraten, das Portfolio zu halten, die Agentur aber zu verkaufen, da ihm die Landarbeit mehr liege. Was stimmte, denn Myles fand Büroarbeit ausgesprochen langweilig.
Er wunderte sich allerdings, was zu diesem Sinneswandel geführt hatte. Wurde seinem Vater das Leben mit seiner jungen Frau in sexueller und anderer Hinsicht zu anstrengend? Er konnte es aus der Ferne nicht beurteilen, hätte aber gern mehr über diese Frau gewusst. Wie gut kannte sie sich in den geschäftlichen Angelegenheiten aus? Vertraute William sich ihr ebenfalls an? Und was war mit seinem Erbe? Wer bekäme was? William würde ihn niemals ausschließen, doch waren Frauen wie sie durchaus in der Lage, ein Testament zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Er seufzte. Sein Status als Alleinerbe war Vergangenheit, er musste so bald wie möglich heimkehren. Außerdem begann ihn das Leben in London zu langweilen.
Zuerst hatte er sich prächtig amüsiert. Auf dem Schiff traf er Donald McBride aus Sydney, und sie wurden so enge Freunde, dass sie gemeinsam eine Wohnung in Kensington samt zuvorkommendem Diener mieteten, der die beiden Junggesellen nur zu gern betreute. Sie zogen wochenlang als eifrige Touristen durch London, fest entschlossen, all die historischen Gebäude zu besichtigen, von denen sie so viel gehört hatten. Dann aber trafen immer mehr Einladungen von Schiffsbekanntschaften ein, so dass sie meist erst frühmorgens ins Bett taumelten. Die Junggesellen war äußerst umworben.
Myles verguckte sich in Helena, eine reizende Engländerin, doch zu Donalds Belustigung belegte ihn die Amerikanerin Belle Symington, eine weltgewandte, ungeheuer attraktive verheiratete Frau, mit Beschlag.
Sie bestand darauf, ihn in die wichtigen Gesellschaftskreise einzuführen. Myles war völlig hingerissen, und ihre Affäre sollte mehrere Monate dauern, bis Belle die Heimreise nach New York antrat.
Währenddessen sprach Donald unablässig vom Wunsch seines Vaters, er solle ein nettes schottisches Mädchen mit nach Hause bringen, und sie mussten lachen, wann immer sie einen schottischen Akzent vernahmen. Bis zu dem Abend, an dem er Tess begegnete, Tess mit dem leuchtend roten Haar und dem schlagfertigen Witz. Sie stammte aus Edinburgh.
Donald und Tess verliebten sich Hals über Kopf ineinander, und Myles begleitete das Paar, als es Tess’ Familie in ihrem uralten, entlegenen Schloss einen Besuch abstattete. Die Familie Dalgleish verhielt sich gegenüber den Fremden, die ihre Tochter angeschleppt hatte, höflich, aber kühl, bis sie schließlich erfuhren, dass Donald überaus ehrenwerte Absichten hegte. Er liebte das Schloss, obgleich es teilweise verfallen und nicht mehr zugänglich war, doch Myles langweilte sich. Zudem war ihm ständig kalt, ob er sich nun im Haus befand oder an der frischen Luft.
Schließlich erinnerte er Donald an ihr Vorhaben, den Winter im Süden zu verbringen und die Küsten des Mittelmeers zu bereisen, doch sein Freund konnte sich nicht von Tess trennen. Also kehrte Myles allein nach London zurück.
Dort lernte er eine blonde Schauspielerin namens Shilly Shannon kennen, die eine kleine Rolle in einem Shaw-Stück spielte. Sie verriet ihm, dass Shilly ihr Künstlername sei, weil Shirley zu gewöhnlich klinge. Sie war exzentrisch, verrückt, aber eine hervorragende Gesellschafterin und ausgesprochen erotisch. Als das Stück vom Spielplan genommen
Weitere Kostenlose Bücher