Tal der Träume
schlecht! Alle dachten, du wärst so gut wie tot, aber du hast nicht aufgegeben. Du musst auch diesmal dagegen kämpfen, wach endlich auf, ich weiß, du kannst es.«
William kam zurück und hörte an der Tür, wie sie Myles ermutigte. Er entfernte sich leise, Lucys Ermahnungen waren jetzt die beste Medizin für seinen Sohn. Die beiden verstanden einander, sie konnte ihm seine Pflicht, gesund zu werden, besser ins Gedächtnis rufen als jeder Vater.
Er fragte sich, wie es zwischen Lucy und Christy stehen mochte. Zack hatte versucht, seinen Rat einzuholen, doch William zweifelte, ob er der Richtige war, um dazu etwas zu sagen. Wenn es um Christy ging, hegte er persönliche Vorbehalte. Sicher, er selbst hatte den Mann bestochen, um an Informationen zu gelangen, doch Christys Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber konnte man kaum als positiven Charakterzug werten, selbst wenn dieser Arbeitgeber ein Mensch wie Mollard war. Er zuckte die Schultern; sollten die jungen Leute ihre Probleme doch selbst lösen. Dann fiel ihm Harriet wieder ein. Wo war sie? In der Lokalzeitung waren Artikel über Myles’ kritischen Zustand erschienen, sie hätte doch ins Krankenhaus kommen oder wenigstens einen Brief schicken können. Doch niemand hatte irgendetwas von ihr gesehen oder gehört.
Als er wieder ins Zimmer kam, lag Myles ganz still da, die Augen noch immer geschlossen.
Lucy ergriff wieder seine Hand. »Ah, da kommt dein Vater, Myles. Los, wach auf, sprich mit uns. Du kannst doch nicht ewig hier liegen und dich selbst bedauern!«
William zuckte zusammen, fand ihre Worte ziemlich hart, doch plötzlich bewegte sich sein Sohn, schien etwas sagen zu wollen.
»Das tue ich nicht«, flüsterte er.
Lucy jubelte beinahe vor Freude. »Na bitte, ich wusste doch, dass du uns die ganze Zeit gehört hast. Was sagst du dazu, William? Er hat uns etwas vorgemacht.« Sie küsste Myles auf die Wange. »Jetzt musst du richtig aufwachen, damit wir dich endlich nach Hause bringen können.«
William trat an die andere Seite des Bettes und legte seinem Sohn eine zitternde Hand auf die Stirn.
»Lucy, er fühlt sich viel kühler an. Ich glaube, das Fieber ist endlich gesunken.«
Doch sie eilte schon aus dem Zimmer. »Ich hole die Oberin.«
Die Passagiere, die an Bord des Dampfers
Belfast
gingen, der die ostaustralischen Häfen Brisbane und Sydney anfuhr, mussten gegen Windböen und Regenschauer ankämpfen, Hüte und Schirme festhalten. Doch eine Dame kümmerte sich nicht um das Wetter. Entschlossenen Schrittes bewegte sie sich voran. Ihre neue Haube saß fest auf dem Kopf, die bunten Bänder flatterten im Wind. Ihr langer, marineblauer Mantel, ebenfalls neu, war hoch zugeknöpft und bot ihr Schutz bei diesem Wetter. Ihre Hände in den Handschuhen packten zu, brauchten nicht die Hilfe der Matrosen, als sie mit zufriedenem Lächeln und ohne einen Blick zurück über die Gangway schritt. Minto verließ Darwin auf Nimmerwiedersehen.
Zwei Tage darauf beriet sich William, der sich besser fühlte, mit Tom Ling, bevor er ins Krankenhaus ging. Myles’ Genesung machte Fortschritte, und obgleich er noch niedergeschlagen war, versuchte er doch, sich an seinen Zustand zu gewöhnen.
»Wie soll er laufen?«, jammerte Tom Ling.
»Er muss ein Holzbein bekommen«, meinte William müde.
»Ein Holzbein?«
»Ich habe nach Perth telegrafiert. Meine Freunde kennen einen Fachmann für solche Dinge, er wird Myles ein Bein anfertigen und anpassen.«
»Und damit kann er richtig gehen?«
»Ich glaube, es braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Aber ja, er wird es schaffen, wenn er die nötige Geduld aufbringt.«
Tom Ling wunderte sich noch immer, doch William fuhr fort: »Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb ihr Mrs. Oatley noch nicht gefunden habt.«
Er hatte beide Diener losgeschickt, um die Stadt nach ihr abzusuchen, denn er war gewiss, dass die chinesische Gemeinschaft sie irgendwo entdecken würde. Die Leute kannten alle Ecken und Winkel von Darwin.
Tom Ling schüttelte den Kopf. »Niemand weiß. Haben gut geguckt. Überall, weiße Häuser, Chinesen-Häuser, ist nicht da. Ist weg.«
»Vielleicht hast du Recht.«
»Sehr Leid, Herr«, erklärte Tom Ling mit einer traurigen Verbeugung.
»Schon gut, ich werde es herausfinden. Bis dahin haltet ihr weiterhin die Augen offen.«
Er war selbst schon auf den Gedanken gekommen, sie habe die Stadt per Schiff verlassen, und hatte sich alle Passagierlisten der Schiffe beschafft, die in den vergangenen
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