Tal ohne Sonne
wegkippten, um aus den mitgebrachten Dosen zu leben, kam Samuel zu Schmitz und tat sehr geheimnisvoll. Er nahm Schmitz beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: »Lakta läßt sagen, daß sie Masta ein großes Geheimnis verraten will.«
»Ein Geheimnis? Was denn?« Schmitz sprach normal, aber Samuel preßte ihm seine Hand auf den Mund.
»Pst, Masta! Keiner soll es erfahren. Es ist ein großes Geheimnis der Uma, aber Lakta kennt es. Du sollst zu ihr kommen. Zur Stelle am Bach, du weißt schon. Lakta kennt den ›Geist der donnernden Wolken‹. Im ›Tal ohne Sonne‹ wohnt er, im ›kämpfenden Tal‹, wie es die Uma nennen.«
»Du hast uns einmal von ihm erzählt, Samuel.«
»Ja. Alle hier kennen den ›Geist der donnernden Wolken‹, die Uma und die Pogwa, die Tota und die Paba. Keiner wagt es, in dieses Tal zu gehen. Der Geist donnert, und die Menschen fallen mit einem kleinen Loch im Kopf oder in der Brust um.«
Schmitz erinnerte sich an die Erzählungen, die Samuel damals in Goroka von sich gegeben hatte. Und er hörte noch, wie Reißner sagte: »Blödsinn, da hat jemand mit einem Gewehr geballert.« Aber wie kam ein Gewehr in ein unerforschtes, unbekanntes Land? Man hatte damals lange darüber diskutiert und gewagte Theorien aufgestellt, aber dann den ›donnernden Geist‹ wieder vergessen. Es war wohl eine Sage der Eingeborenen, die daran glaubten, von Geistern und Ahnen umgeben zu sein, die ihr Leben bestimmten.
»Und Lakta weiß, wo dieser Geist wohnt?« flüsterte Schmitz zurück. Er spürte in sich ein Kribbeln der Spannung.
»Ja.«
»Sie hat ihn gesehen?«
»Das weiß ich nicht, Masta. Du sollst zum Bach kommen.«
»Wann?«
»Sofort, Lakta wartet auf dich.«
»Du mußt mitkommen, Samuel.«
»Warum?«
»Ich verstehe sie doch nicht.« Schmitz erhob sich von dem Holzklotz, auf dem er saß. Sie gingen zum Dorf, vorbei an den neuen Hütten, die für die Weißen gebaut wurden, vorbei an der Kirche, vor der Pater Lucius saß und aus einem Palmenstamm einen großen Christus schnitzte, umgeben von einer Kinderschar, die ihm zusah und der er, seine Arbeit unterbrechend, mit den wenigen Worten Uma, die er konnte, eine Bilderbibel erklärte, Bilder aus einer anderen, unfaßbaren Welt. Am Palmenhain bogen sie zum Wald ab und gingen die ›Wasserleitung‹ entlang bis zu dem Bach, der silberhell über einen steinigen Abhang herunterlief.
Lakta saß schon da, genau an der Stelle, wo sie sich zum erstenmal geküßt hatten und in der Umarmung so glücklich gewesen waren.
Schmitz blieb stehen und ergriff Samuels Arm. »Samuel«, sagte er stockend, »wundere dich nicht über das, was du gleich siehst, und vergiß, was du siehst.«
»Ich werde mich umdrehen und nichts sehen, Masta.« Samuel grinste breit und zwinkerte. »Ich weiß doch, daß Masta in Lakta verliebt ist.«
»Du Halunke! Wer weiß es noch?«
»Niemand.«
»Dai Puino?«
»Nein.«
»Sapa, ihre Mutter?«
»Das weiß ich nicht. Aber es ist möglich.«
»Leonora?«
»Massa ahnt es, Masta. Aber Massa ist eine gute Frau, sie wird nie etwas sagen.« Er grinste noch breiter. »Massa liebt ja auch.«
»Zynaker, nicht wahr?«
Samuel hob abwehrend die Hände. »Ich habe nichts gesehen, gehört und gesagt, Masta. Lakta wartet.«
Sie lief ihm entgegen, als sie ihn sah, und fiel ihm um den Hals, küßte ihn und drückte sich fest an ihn. Ihr schlanker Körper, nur mit einem Schurz bekleidet, glühte unter seinen Händen auf.
»Ich liebe dich«, sagte sie auf Uma, und es war ein Satz, den Schmitz verstand, den er als ersten von ihr gelernt hatte.
Samuel drehte sich um und blickte zu dem Bananenwald zurück. Es dauerte eine Zeit, bis er die Stimme von Schmitz hörte und sich wieder umwenden konnte. Lakta und Schmitz saßen am Ufer des Wassers, hielten die Füße in den kalten, klaren Bach und hatten die Arme um ihre Schultern gelegt. Während Schmitz sprach, tasteten Laktas Lippen über seinen Hals und seine Wange.
»Du kannst kommen, Samuel.«
»Laß dir Zeit, Masta«, antwortete Samuel weise. »Ich sehe mir gern Erde und Himmel an. Wer liebt, kennt die Zeit nicht mehr. Er hält sie fest.«
»Du bist ja ein Philosoph, Krummbein!« Schmitz lachte und küßte Lakta auf den Mund. »Komm her! Ich will wissen, was Lakta zu erzählen hat.«
Sie saßen dann nebeneinander am Rand des Baches, und Samuel übersetzte, was aus Laktas Mund heraussprudelte. Es hörte sich so an:
»Der ›Geist der donnernden Wolken‹ war plötzlich bei uns, als ich noch ein
Weitere Kostenlose Bücher