Tal ohne Sonne
kleines Mädchen war. Niemand hat ihn kommen sehen, kein Feuerschein war am Himmel und keine verloschene Sonne, er war einfach da, ließ seinen Donner los und tötete damit Septa, einen großen Krieger der Uma. Ein kleines Loch war in seinem Kopf, und keiner wußte, wie man ein solches Loch machen kann. Und immer, wenn unsere Krieger auf der Jagd in das ›Tal ohne Sonne‹ kamen, das an manchen Tagen dampfte, als brenne auf seinem Grund ein riesiges Feuer und schicke Rauch in den Himmel, ließ er seinen Donner los und tötete so noch drei unserer Männer. Danach hat keiner mehr das Tal betreten, auch die benachbarten Pogwa nicht. Auch sie beklagten Krieger, tapfere Männer, mit kleinen Löchern in der Brust oder im Kopf. Einer erzählte, er habe den Geist gesehen, so groß wie ein Felsen, die Spitzen weiß bestäubt wie mit Mehl. Aber keiner glaubte ihm, und sie haben ihn erschlagen und gegessen, damit er den Geist nicht zu ihnen lockte. Dann habe ich einmal – es ist lange her – ein Tier verfolgt, das ich mit einem Speer verwundet hatte, ein wildes Schwein, das durch den Urwald brach und flüchtete. Ich bin ihm nachgelaufen und wußte nicht, wo ich war, und plötzlich stehe ich am Abhang zu einem Tal, dessen Tiefe ich nicht sehe, weil grauer Nebel wie ein Tuch über allem liegt. Und ich weiß plötzlich: Das ist das ›dampfende Tal‹, das ›Tal ohne Sonne‹, die Wohnung des ›Geistes der donnernden Wolken‹. Ich wußte, daß ich sterben würde wie unsere Krieger, kniete nieder und rief meine Ahnen an. Aber es geschah nichts. Er sieht mich, dachte ich. Natürlich sieht er mich. Und wenn ich mich bewege, läßt er seinen Donner los. ›Sei gnädig, Geist!‹ habe ich da gerufen. ›Ich will keinem erzählen, daß ich dein Tal gesehen habe. Niemand soll wissen, wo du bist. Bitte laß mich leben!‹ Und dann bin ich aufgestanden, ganz langsam, bin in den Wald zurück, und als ich zwischen den Bäumen war, bin ich losgelaufen, und hinter mir ließ der Geist wieder sein Donnern hören, als rufe er mir zum Abschied zu: ›Vergiß, was du gesehen hast!‹ Und ich habe es vergessen – bis heute, bis ich dich liebte, Pepau. Zwischen uns soll es kein Geheimnis geben.«
Schmitz hatte atemlos zugehört und war sich ein paarmal mit der Hand über das Gesicht gefahren. Das ist ja ungeheuerlich, dachte er. Nicht hier bei den Uma ist das Tal, das Leonora sucht, sondern von ihnen entfernt ist es, das ›Tal ohne Sonne‹, das ›dampfende Tal‹, dieser enge Einschnitt in die Berge, in den wirklich kaum ein Sonnenstrahl dringt und den man aus der Luft nicht sieht, weil ständig Nebel über ihm hängt. Jeder vermutet unter der Nebel Schicht nur den Regenwald, aus dem die Nässe in die Sonne dampft. Mein Gott, wir sind so nah an der Lösung des Rätsels. Lakta, mein Liebstes, du hast uns den richtigen Weg gezeigt. Er küßte sie, drückte sie an sich, und Samuel stand auf und drehte sich wieder um.
Aber das war nicht nötig; Schmitz sprang auf, zog Lakta an den Händen hoch und sagte hastig: »Das müssen wir Leonora sagen, Samuel. Und Lakta muß uns in dieses Tal führen.«
»Das wird sie bestimmt nicht, Masta.«
»Sie wird es. Wenn sie mir ihr großes Geheimnis verraten hat, wird sie uns auch den Weg zeigen.« Er zog Lakta an sich, gab ihr einen neuen Kuß auf die Lippen, nahm dann ihre Hand und folgte Samuel, der zum Dorf zurückging.
Pater Lucius saß noch immer vor seiner Kirche und schnitzte an seinem Christus. Schmitz und Kreijsman sahen dem Bau der neuen Hütten zu, wobei Kreijsman sagte: »Wenn das unsere Baustatiker sähen, fielen sie sofort in Ohnmacht!« Leonora und Zynaker saßen neben dem auf seinem Flugzeugsessel thronenden Dai Puino und aßen mit Honig bestrichene Sagofladen. Sie boten ein Bild des Friedens, das von dem geschäftigen Treiben der halbnackten Frauen, den herumstreunenden gelben Hunden, den frei herumlaufenden Ferkeln und Hühnern und den in großen Kreisen herumhockenden Kriegern belebt war, die schwatzten und lachten und nichts taten – denn wozu hatte man seine Frauen?
Lakta war, als sie den Bananenwald erreichten, vorausgelaufen, damit man sie nicht mit dem Weißen sah. Der Stamm, das Dorf ahnten noch nichts von ihrer Liebe zu einem Gott, der doch ein Mann war, nur Sapa, ihrer Mutter, hatte sie es gesagt, und Sapa, die Leonora vor dem Tod gerettet hatte, indem sie ihr den Leib aufschnitt, und die jetzt jedem stolz ihre Narbe zeigte, unter der einmal der böse Dämon gewohnt hatte,
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