Tal ohne Sonne
letzten großen Satz verschwand der Medizinmann zwischen einer Lücke in den Baumskeletten.
Kreijsman atmete laut aus, und auch Leonora fuhr sich mit bebenden Händen durch die Haare. »Das kann uns das Leben gerettet haben«, sagte sie stockend. »An so etwas hat mein Vater nicht gedacht, er hätte sonst zaubern gelernt und lebte heute noch.«
»Abwarten.« Pater Lucius legte seinen roten Zylinder zurück in die Kiste. »Auf jeden Fall haben wir Zeit gewonnen, der Kontakt zu den Wilden ist hergestellt, den wichtigsten Mann des Stammes haben wir verblüfft. Was jetzt kommt, können wir in Ruhe abwarten. Eins wissen wir jetzt: Sie wollen uns nicht töten, denn das hätten sie sonst längst getan.«
»Und so sollen wir nun hier herumstehen und warten?« Reißner hängte sich seine MPi wieder vor die Brust.
»Im Gegenteil.« Zynaker zeigte auf das Flugzeugwrack im Fluß. »Wir tun das, was wir besprochen haben, als gäbe es keine Papuas.«
»Sie haben vielleicht Nerven!« sagte Kreijsman tonlos.
»Ja, die müssen wir jetzt alle haben!« Zynaker wandte sich zum Gehen. »Wir müssen das Wrack ausschlachten und an Land holen, was man noch gebrauchen kann. Aus den Seitenteilen und den Flügeln können wir uns feste Hütten bauen, mit den Rädern können wir Karren konstruieren, die Sitze werden zu Sesseln werden … Leute, wir bauen hier eine Luxussiedlung!« Er blickte hinauf zu dem noch von Nebelschwaden verhangenen Himmel, hinter denen man die Sonne nur ahnen konnte. Die Hitze war da, der Urwald dampfte und gab die Feuchte der Nacht her. »Es kann auch sein, daß bald ein Hubschrauber über uns erscheint. In Kopago und Port Moresby hat man längst Alarm gegeben, weil ich nicht zurückgekommen bin. Sie werden uns suchen.« Er blickte von einem zum anderen, und jeder wußte, was er jetzt sagen würde. »Wer gerettet werden will, kann sich ja hochziehen lassen und in den Hubschrauber einsteigen.« Er sprach das ›gerettet‹ wie ein Schimpfwort aus. »Jeder ist in seinen Handlungen frei.«
»Gut. Fangen wir an abzustimmen, wenn's schon sein muß! Also angenommen, der Hubschrauber findet uns – Sie zuerst, Zynaker: Wie entscheiden Sie sich?«
»Ich bleibe bei Leonora.«
»Leonora, Sie?«
»Ich bleibe selbstverständlich hier. Welche Frage!«
»Pepau?«
Schmitz winkte ab. »Es ist mir zu blöd, darauf zu antworten. Aber Sie, John Hannibal?«
»Trauen Sie mir Fahnenflucht zu? Fred, wie ist's mit Ihnen?«
»Leonora hat mein Wort.«
»Ich stelle fest«, sagte Reißner laut, »daß wir einstimmig beschlossen haben, verfluchte Helden zu sein. Wenn wir also einen Hubschrauber hören, volle Deckung! Keine Zeichen! Nichts! Kann man das so sagen?«
»Ja!« antwortete Zynaker ebenso laut. »Und jetzt hören wir mit der Quatscherei auf und fangen an zu arbeiten. Wie in der Nacht – einer bleibt immer als Wache an Land zurück und wird alle zwei Stunden abgelöst. Wer ist dagegen?«
»Die Papuas!« Reißner zeigte zu den Baumgerippen. »Neuer Besuch. Wir sollten ein Gästebuch anlegen.«
Zwischen der Lücke in den toten Baumstämmen, durch die der Medizinmann verschwunden war, erschien jetzt eine andere Gestalt. Im Gegensatz zu Duka Hamana war er nicht bis zur Unkenntlichkeit mit Federn und Ketten verkleidet. Er war eine muskulöse dunkelbraune Gestalt. Um sich hatte er nur den Blätterlendenschutz und eine Kette aus Sauzähnen geschlungen, während auf seinem kraushaarigen Kopf eine Art Hut aus Baumrinde und drei große Paradiesvogelfederbüsche wippten. Sein Gesicht war mit gelber Farbe vollkommen zugeschmiert, und über den Nasenrücken bis hinauf zum Haaransatz zog sich ein dicker roter Strich und teilte das Gesicht in zwei Hälften. Das Auffallendste aber waren die Schmuckstücke, die er über dem Lendenschulz an einem dicken geflochtenen Baststrick trug. Kreijsman schluckte mehrmals, aber selbst Reißner verlor sein loses Mundwerk und schnaufte nur durch die Nase.
Rund um den Leib, eben an dieser Bastschnur, baumelten, mit den Haaren an dem Gürtel verknotet, faustgroße menschliche Köpfe. Obwohl sie präpariert und zusammengeschrumpft waren, erkannte man deutlich die Stirn, die Augenhöhlen, die Nase, den Mund und die zusammengebundenen Falten des abgetrennten Halses.
Der einzige, den dieser Anblick nicht bis auf die Knochen frieren ließ, war Samuel. Im Gegenteil, es schien, als atme er im Gegensatz zu den Weißen befreit auf.
»Mir wird übel«, flüsterte Kreijsman.
»Halten Sie's Maul«, knurrte
Weitere Kostenlose Bücher