Tal ohne Sonne
letzten Überfall noch Verletzte in den Häusern liegen?«
»Ja, Masta. Viele werden sterben.«
»Wo liegen sie?«
»Im Männerhaus eins.«
»Kannst du mich dahin bringen?«
»Jetzt?«
»Ja, jetzt.«
»Warum, Masta?«
»Ich will ihnen helfen. Vielleicht brauchen sie gar nicht zu sterben.«
»Der Gedanke ist fabelhaft.« Reißner schlug die Hände begeistert zusammen. »Daß wir daran nicht gedacht haben! Pepau, Sie haben den ersten vernünftigen Schritt zur Mission getan: Kranke heilen. Das kommt immer an, das überzeugt. Wie wollen Sie das machen?«
»Ich nehme den Sanitätskoffer und eine Handlampe mit.«
»Sehr gut … Damit sind Sie zunächst eine kleine wandelnde Sonne. Soll ich Sie begleiten, als Assistent?«
»Nein. Wenn, dann gehe ich allein mit Samuel.«
»Ich will Fotos machen.«
»Mit Blitzlicht? Genau das kommt nicht in Frage. Machen Sie Ihre Fotos morgen bei Tageslicht. Samuel!«
»Masta?«
»Wir gehen jetzt zu Haus eins.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Samuel kroch wie in sich selbst zusammen. Er wurde um die Hälfte kleiner. Als Pantomime auf einer Bühne hätte er Triumphe feiern können. »Masta, wir haben dieses Haus bekommen. Die anderen Männerhäuser sind nur für die Männer da, die darin wohnen. Wir dürfen nicht hinein, Masta.«
»Aber ich will doch helfen! Ich kann vielleicht Leben retten.«
»Erst müssen die Männer beraten, ob Masta hinein darf. Es ist schon dunkel.«
Pater Lucius hatte gerade eine der kleineren Lampen angezündet, die einen Umkreis von etwa fünf Metern erhellte. Aber schon das war für die Uma ein Wunder. Die Männer wichen zum Türloch zurück und starrten furchtsam und doch neugierig auf die winzige Sonne in der Männerhütte. Wer sollte das begreifen? Es war Nacht, und da nahm einer der weißen Fremden einen Stab in die Hand, und mit einem leisen Knacken kam die Sonne wieder, das Licht, das Leben. Waren es doch Götter?
»Seit wann hast du, als getaufter Christ, der so viel gelernt hat, Angst vor der Nacht? Du weißt doch, daß es keine Nachtgeister gibt.«
»Nicht in Port Moresby, Masta.« Samuel verzog das Gesicht zu lauter Falten. »Aber hier? Weißt du es, Masta?«
»Auch hier ist Gottes Land.«
»Wissen das auch die Geister?«
»Es hat keinen Sinn.« Schmitz ging nach hinten und suchte zwischen den Kisten den Aluminiumkoffer mit dem roten Kreuz darauf.
Daß er mit einer zweiten Taschenlampe suchte, war für die Papuas am Eingang geradezu ungeheuerlich. Eine neue Sonne – jeder der fremden Weißen trug eine eigene Sonne mit sich herum! Das mußte man erzählen, das mußten alle wissen. Sie drängten sich durch die Tür nach draußen und liefen, wie gehetzt, hinüber zu den anderen Männerhäusern.
Schmitz kam mit dem Aluminiumkoffer zu den anderen zurück. »Samuel, kommst du mit?«
»Masta –« Samuel rollte die Augen, als würde er gewürgt.
»Du mußt übersetzen. Willst du, daß die tapferen Krieger sterben?«
»Der Medizinmann hat sie versorgt. Er hat Kräuter, Salben, Breie und Säfte, die alles heilen können, auch tiefe Wunden. Aber wenn er sagt: ›Du wirst sterben‹, dann muß man sterben.«
»Das hat alles zwei Seiten«, sagte Zynaker sehr ernst. »Sie gehen hin, Pepau, und behandeln die Verwundeten. Wenn sie überleben, sind Sie der große Gott über Leben und Tod, geht es aber daneben und einer stirbt doch nach Ihrer Behandlung, dann wird es heißen: Er hat ihn mit seinem Zauber getötet. Seine Berührung jagte das Leben aus ihm hinaus. Das kann gefährlich werden. Sie kennen die Verletzungen noch nicht.«
»Wer so schwer verletzt ist, daß es keine Hoffnung mehr gibt, dem sage ich wie der Medizinmann: Deine Ahnen warten auf dich. Sie sind stolz auf ihren tapferen Krieger. Und ich werde ihnen Morphium geben, damit sie schmerzlos sterben.«
»Das hört sich sehr human an.« Zynaker klopfte Schmitz auf die Schulter und begleitete ihn bis zur Tür. »Trotzdem, seien Sie vorsichtig. Sie kommen in das Revier des Medizinmannes rein. Wir alle wissen, wie groß sein Einfluß ist.«
»Den zu brechen ist Aufgabe unseres Paters!« ließ sich Reißner vernehmen.
»Ich werde gar nichts brechen!« sagte Pater Lucius laut. »Ich will überzeugen. Nur darin liegt der Erfolg. Zerstören ist einfach.«
Schmitz trat aus dem Männerhaus und stieg die vier Stufen auf den Boden hinunter. Samuel folgte ihm, in sich zusammengeschrumpft, wie ein Hund, dem befohlen ist, bei Blitz und Donner auf die Straße zu gehen. Völlige Dunkelheit
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