Tal ohne Sonne
Speere, Bogen und Pfeile, bunte, große Schilde und große, schwere Holzkeulen – lagen in einer Ecke des Raumes. Natürlich fehlten nicht die Säckchen mit den widerlichen, sich krümmenden Sagowurmlarven; sie baumelten an einem Querbalken von der Decke. Einen Sack mit Menschenfett konnte Schmitz nicht entdecken.
In dem Halbdunkel, das in allen diesen fensterlosen Hütten herrschte, erkannte Leonora die an der Wand liegende Frauengestalt. Ein Mädchen hockte neben ihr und träufelte ihr Wasser über das Gesicht und die flache, welke Brust. Als Schmitz und Leonora eintraten, zuckte der Kopf des Mädchens zu ihnen herum.
Schmitz blieb betroffen stehen und sah das Mädchen an. Bis auf einen bemalten Bastschurz war sie nackt, Ihr krauses schwarzes Haar war länger als bei den anderen Frauen, sie hatte weniger aufgeworfene Lippen und eine Haut, die trotz der Dämmerung wie Samt schimmerte. Ihre Brüste waren voll, rund und fest, und ihre Augen bekamen neuen Glanz, als sie Schmitz ansah und sich ihre Blicke kreuzten. Dann wandte sie schnell den Kopf zur Seite und beugte sich wieder über Sapa, ihre Mutter.
Schmitz atmete tief auf. Der Anblick des Mädchens, ihre Schönheit, die sie von den anderen Frauen und Mädchen abhob, ihr Blick, der ihn wie ein Strahl durchdrungen hatte, dieses Gesicht, das ihn an die Gemälde von Gauguin erinnerte, der die Schönheiten von Tahiti malte, und nicht an ein Mädchen, das noch in der Steinzeit lebte, dieses Unbegreifliche in einem unerforschten Land zu finden, bei Menschen, von denen niemand wußte, daß es sie überhaupt gab, ließ sein Herz plötzlich wie rasend klopfen.
»Was haben Sie, Pepau?« fragte Leonora. Sie war weitergegangen und kam der liegenden Frau näher.
»Ich habe mich nur kurz umgesehen, Chefin. Erstaunlich sauber hier. Kein Gestank.«
Dai Puino stand neben dem Lager seiner Frau und beobachtete mit finsterer Miene, wie sich Leonora auf die Knie niederließ. Das Mädchen sah sie nicht an, es goß weiter Wasser über Kopf und Brust der Mutter.
Schmitz ließ sich neben Leonora nieder und warf einen Blick auf das Mädchen. Sie hatte den Kopf abgewandt und wich seinen Augen aus.
Samuel, der hinter Schmitz stand, erklärte unbefangen: »Das ist Lakta, die Tochter von Dai Puino. Die einzige Tochter.«
Lakta, dachte Schmitz. Lakta. Ein Name, den ich nie mehr vergessen werde. Wie kann eine solche Schönheit unter Wilden aufwachsen? Lakta, die Tochter eines Kopfjägers und Kannibalen. Welch eine Welt …
Einen kurzen Augenblick betrachtete Leonora die liegende Frau. Ihr Gesicht war verzerrt, sie mußte schreckliche Schmerzen haben, aber kein Jammern kam über die rissigen Lippen, kein Stöhnen; nur in den fiebrig glänzenden Augen lag die ganze Qual, die sie nicht hinausschreien durfte.
»Samuel, komm her«, sagte Leonora. »Du mußt jetzt ganz genau übersetzen, was ich frage und was Sapa antwortet. Jedes Wort ist wichtig. Hörst du?«
»Ich höre, Massa. Frage.«
Leonora hielt Laktas Hand fest und schüttelte den Kopf. Das Mädchen verstand sie, stellte den Bambuskrug weg und legte die Hände in den Schoß. Ihr Körper war schmal und glatt und von einer ergreifenden Ebenmäßigkeit. Sapa starrte die weiße Göttin an, die sich jetzt über sie beugte.
»Sag mir, wo es am wehesten tut.«
Sapa zögerte, dann legte sie ihre zitternde Hand auf ihren Leib. Sie glitt tiefer, bis unter den Nabel, und blieb dort liegen.
»Die Blase?« fragte Schmitz. »Eine Zystitis?«
»Glaube ich nicht. Aber da liegt ja noch mehr. Ich palpiere vorsichtig.« Sie schob Sapas Hand weg und begann, mit der flachen Hand vorsichtig über den Unterbauch zu tasten. Dabei beobachtete sie die Frau, ob sich ihr Gesicht vor Schmerz verzog. »Sag ihr, Samuel, sie soll einen Laut von sich geben, wenn der Schmerz zu groß wird.« Sie drückte weiter und hob plötzlich den Kopf, als habe sie etwas unter ihren Fingern gespürt. An der Stelle verstärkte sie den Druck.
Sapa gab einen leisen, stöhnenden Laut von sich. Ihr Mund verzerrte sich.
»Das ist es«, sagte Leonora und zog ihre Hand zurück. »Wenn ich jetzt nur einen Röntgenapparat hätte! Pepau, jetzt sind Sie dran. Was meinen Sie, was das ist?«
Schmitz beugte sich über Sapa und sah dabei Lakta an. Ihre großen schwarzen Augen bettelten und glänzten in zurückgehaltenen Tränen. Nach wenigen Abtastungen richtete sich Schmitz wieder auf. »Es ist vielleicht dumm, was ich sage, aber es fühlt sich wie eine Geschwulst an.«
»Es ist
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