Tal ohne Sonne
heller Ruf Laktas hielt Dai Puino zurück. Er starrte mit wildem Blick erst seine Tochter, dann die weißen Götter an und ließ den Speer in seinen Händen federn.
»Sag ihm, Samuel, nicht er kann den Feind besiegen, sondern nur wir. Nur wir haben die Kraft dazu«, sagte Leonora mit tonloser Stimme. »Dai Puino könnte seine Frau nur töten.«
Samuel übersetzte, am ganzen Körper zitternd. Und dann sprach Lakta wieder einige Worte, die selbst Samuel nicht verstand. Dai Puino zog den Speer an sich, ging rückwärts zur Wand zurück und lehnte sich wieder an sie.
»Für ihn ist der Feind eben ein Feind, den man nur mit dem Speer vernichten kann«, sagte Leonora gepreßt zu Schmitz. »Sie haben nie anders denken gelernt. Was wir jetzt tun werden, beweist allen, daß wir doch Götter sind.«
»Für Pater Lucius genau die falsche Ausgangsposition.«
»Das kümmert mich jetzt einen Dreck.« Sie sah Schmitz entschlossen an. »Los! Klemmen und Schere! Ich hebe das Myom heraus, und Sie vernähen den Stumpf des Stiels. Ich durchtrenne ihn so flach wie möglich. Achtung, Pepau, Klemme!« Das Herausheben des Myoms war eine Angelegenheit von Minuten. Leonora durchtrennte den Stiel, griff dann mit beiden Händen in die Bauchhöhle und holte die fast kugelrunde, an den Rändern etwas warzige Geschwulst heraus. Sie ließ sie in einen Plastikeimer neben sich plumpsen und säuberte den kaum blutenden Stumpf.
Schmitz hatte bereits Nadel und Catgut genommen und beugte sich wieder über den offenen Leib. »Das durchtrennte Bauchfell wage ich noch nicht zu nähen, Chefin«, sagte er dabei.
»Dann schauen Sie genau zu, wie man's macht, Pepau. Das nächste Bauchfell nähen Sie dann allein.«
»Hoffentlich nicht!«
»Sie sollten sagen: ›Hoffentlich ja.‹ Sie haben das Zeug zu einem guten Chirurgen.«
»Danke, Chefin.«
Nach zwanzig Minuten hatte Leonora den Bauch wieder geschlossen, und Schmitz wickelte einen sauberen Druckverband um Sapas Leib. Auf einen Wink Leonoras hin trugen Lakta und Samuel die noch in der tiefen Narkose liegende Sapa zu ihrem Mattenlager zurück und legten sie Dai Puino zu Füßen. Er beugte sich sofort über sie, sah, daß sie noch atmete, daß sie also lebte, und er begriff nun das große Wunder, daß man sie aufgeschnitten und den Feind besiegt hatte und daß sie weiterleben würde, frei von allen Qualen und Schmerzen. Er richtete sich hoch auf, warf seinen Speer aus der Hand, fiel dann auf die Knie und drückte das Gesicht an den Boden. Er ergab sich den Gottheiten.
»Wenn Pater Lucius jetzt hier wäre, würde er das Kruzifix hochhalten, auf Christus zeigen und sagen: ›Er, der Herr, hat's getan!‹ Das ist genau das, was mir nicht gefällt. Die Arbeit haben Sie gemacht, Chefin.«
»Aber Gott hat mir die Begabung und das Wissen gegeben, diese Arbeit zu tun. So muß man das sehen.«
»Dann ist alles, was Menschen tun, letztlich Gottes Werk?«
»Weil wir Gottes Kinder sind, ja.«
»Dann sind auch die Kriege Gottes Werk? Dann hat im letzten Weltkrieg Gott fünfundfünfzig Millionen Menschen vernichtet? An einen solchen Gott soll ich glauben?«
»Pepau, es ist schwer, das alles zu begreifen. Vielleicht verstehen wir es einmal an der Schwelle zu Gottes Reich. Es gibt einen berühmten deutschen Chirurgen, Professor Kilian, der seine Memoiren geschrieben hat. Wie nannte er sie? Nicht: ›Meine Erfolge und Niederlagen‹, nein, er nannte sie: ›Hinter uns steht nur der Herrgott.‹ Ich glaube, Kilian hat recht.« Sie nahm den Plastikeimer, ging zu dem auf dem Boden liegenden Dai Puino hinüber und tippte ihn mit dem Fuß an. Dai Puino blickte hoch. Leonora zeigte ihm den Eimer und wies mit dem Zeigefinger auf das knotige, große Myom. »Der Feind«, sagte sie. »Das ist der Feind.«
Auch wenn er die Worte nicht verstand, begriff Dai Puino doch, was Leonora sagte. Mit einem dumpfen Schrei wie vorhin sprang er auf, ergriff seinen Speer, und ehe Leonora entsetzt den Eimer wegziehen konnte, hatte er die Speerspitze in das Myom gebohrt und riß es aus dem Eimer. Aufgespießt reckte er es hoch in die Luft, begann ein auf- und abschwellendes Siegesgeheul, duckte sich dann und rannte durch den Eingang nach draußen. Vor dem Haus mußten eine Menge Krieger stehen, denn ein vielstimmiges Geheul antwortete ihm. Dann hörte man Füße stampfen und das Gerassel von Knochenketten. Auch Lakta rannte hinaus, nach einem langen, strahlenden Blick auf Schmitz. Wie versteinert stand Leonora mit dem leeren Eimer
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