Tal ohne Sonne
zusammengebundenen, langstieligen Blättern. Die Farben Gelb, Weiß und Rot waren am beliebtesten. Pflanzensäfte und zerriebene Wurzeln, vermengt mit einem Sagobrei, bildeten das Material. »Sie operieren noch immer«, sagte er. »Ich mache mir Sorgen.«
»Was operieren sie überhaupt?« fragte Kreijsman.
»Ich weiß es nicht. Als Pepau und Samuel die Sanitätskiste holten, sagte er nur, man müsse einen Bauch aufschneiden.«
»O du Scheiße!« Reißner zuckte hoch. »Sind die denn verrückt geworden? Das geht schief, das muß schiefgehen! Warum hat mir das keiner gesagt?«
»Hätten Sie es verhindern können?«
»Vielleicht.«
»Bei Leonora?« Kreijsman schüttelte den Kopf. »Wenn sie etwas will, setzt sie das auch durch.«
»Ein Wahnsinn!« schrie Reißner. »Schon die Versorgung der neun Verwundeten war ein Blödsinn!«
»Aber er ist gelungen.«
»Abwarten! Noch laufen sie nicht wieder herum. Da kann noch viel passieren. Vergeßt Duka Hamana, den Medizinmann, nicht. Er kämpft um sein Gesicht und seine Ehre. Noch sind wir nicht die unangreifbaren Götter.«
»Das wollen wir auch nie sein. Wir sind als Freunde und Brüder gekommen, aus einer anderen Welt, in die wir sie hineinführen wollen.«
»Ich habe jetzt schon Mitleid mit meinen menschenfressenden Brüdern«, sagte Reißner giftig. »Diese andere Welt wird sie ausrotten durch Krankheiten, Alkohol, Rauschgifte und neugelernte Verbrechen.«
Er wurde durch ein wildes Geschrei unterbrochen. Es kam vom Haus des Häuptlings her, Speere wurden hoch in die Luft gereckt, mit den Boden stampfenden Beinen tanzten die Krieger auf der Stelle, ein hundertstimmiges Kreischen der Frauen lag über dem Dorf, ein plötzlicher Höllenlärm.
Pater Lucius biß die Zähne zusammen und sah Kreijsman und Reißner an. Sie dachten alle das gleiche und waren wie gelähmt. Vorbei, alles vorbei, bevor es noch richtig begonnen hatte. Die Operation ist mißlungen.
Als wenn ihre Gedanken bestätigt würden, sahen sie jetzt Dai Puino aus seinem Haus stürmen. Auf seinem langen Speer hatte er etwas aufgespießt, was man aus der Entfernung nicht erkennen konnte. Es mußte aber etwas Besonderes sein, denn das Geheul und das Füßestampfen verstärkten sich noch. Die Krieger tanzten um Dai Puino und seine Trophäe herum, ihre abgehackten Schreie drangen bis auf die Knochen.
»Seht … seht ihr Zynaker?« fragte Kreijsman, bleich im Gesicht.
»Nein. Die Menge hat ihn unter sich begraben.«
»Dann wollen wir mal.« Reißner erhob sich, über sein Gesicht zuckte es. »Verschanzen wir uns im Haus! So schnell kriegen sie uns nicht. Da nehme ich noch einige mit in die ewige Dunkelheit. Seht ihr nun, was eine MPi wert ist? Wieviel Gewehre haben wir mit?«
»Fünf. Davon sind zwei Schrotflinten für die Jagd.«
»Schrot ist immer gut. Damit spicken wir die Kerle.« Reißner sah Pater Lucius fragend an. »Dürfen Sie überhaupt auf Menschen schießen, Pater?«
»Nur zur Selbstverteidigung, wenn nichts anderes möglich ist.«
»Können Sie erkennen, was Dai Puino auf seine Lanze gespießt hat?«
»Nein. Ich sehe nur, daß es fast rund ist.«
»Pepaus oder Leonoras Kopf?« fragte Reißner dumpf. »Die … die Größe hat es doch?«
»Ja.«
»Ins Haus! Pater, Sie bewachen den hinteren Eingang. Fred und ich empfangen sie hier. Wenn das auf Dai Puinos Speer ein Kopf ist, wissen sie jetzt, daß wir keine Götter und nicht unsterblich sind. Das einzige, was sie vielleicht aufhalten könnte, ist für sie der Zauber, daß es knallt und viele mit Löchern im Körper tot umfallen. Das werden sie sich nicht erklären können. Das ist unsere einzige Chance zu überleben.«
Aber die Uma griffen nicht an. Sie tanzten und schrien weiter auf dem Dorfplatz, die Weiber kreischten, es war ein Gewimmel von hochgereckten Armen.
»Da ist Leonora!« schrie Pater Lucius plötzlich. »Da, in der Tür des Hauses! Seht ihr sie? Und jetzt kommt Pepau heraus! Sie leben! John Hannibal, wir sind alle Idioten. Das ist ein Freudentanz und kein Kriegstanz. Die Operation ist gelungen. Sie haben es geschafft.«
»Und jetzt sind wir unverwundbar«, sagte Kreijsman leise. »Jetzt haben wir eine Mauer durchstoßen, und das unerforschte Land liegt frei vor uns.«
»Ihr Diamantentraum, Fred«, lachte Reißner gepreßt.
»Und meine Kirche, meine neue Gemeinde«, sagte Pater Lucius feierlich.
»Und sogar Zynaker hat überlebt! Da taucht er auf.« Reißner schlug sich auf die Schenkel. »Man gönnt uns aber auch
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